Den Plattform-Gedanken intensiv weiterverfolgen

Gastbeitrag für medienpolitik.net vom 3. Februar 2020

Die Frage, wie unsere Medienordnung neu aufgestellt werden muss, um angesichts der fortschreitenden Digitalisierung und dem Vorherrschen amerikanischer und chinesischer Großkonzerne zu bestehen und den gesellschaftlich-demokratischen Diskurs zu gewährleisten, beschäftigt seit vielen Jahren die Medienwissenschaft und –politik.

Vorschläge gibt es einige. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse zur Plattform weiterentwickelt werden, forderten vor wenigen Jahren 40 Wissenschaftler*innen und Vertreter*innen aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik in ihren „Zehn Thesen zur Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien“. Aus dieser Initiative ging die Idee einer „European Public Open Space“ hervor, und auch der BR-Intendant Ulrich Wilhelm warb in seiner Amtszeit als ARD-Vorsitzender für eine europäische Plattform. Vergangene Woche stellte der Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister bei einer Tagung der Heinrich Böll-Stiftung in Berlin Überlegungen vor, an denen eine „Strategiegruppe neue Medienpolitik“ an dem von ihm gegründeten und bis voriges Jahr geleiteten Institut für Medien- und Kommunikationspolitik (IfM) arbeitet.

Hachmeister schlägt eine „dritte Säule“ vor, die medienübergreifend gestaltet das bisherige duale System von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk erweitern und sich stärker an kreativen Leistungen orientieren soll. Um ihre Unabhängigkeit zu gewährleisten, schlägt Hachmeister einen Stiftungsfonds in Höhe von rund 400 Millionen Euro vor, der aus Rundfunkbeitrag, Werbeabgaben der Privatsender und Förderungen weiterer Stiftungen gespeist werden soll. Die Mittel sollen als „freie Spitze“ nach dem Vorbild des Deutschen Filmförderungsfonds anhand eines Kriterienkatalogs ohne Jury vergeben werden. Damit verspricht sich die Arbeitsgruppe die Förderung von außergewöhnlichen Leistungen von Autor*innen, Produzent*innen und Kreativen, die Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und die Reduzierung bestehender Abhängigkeiten beispielsweise von Redakteur*innen und Programm-Managern*innen.

Für die Weiterentwicklung unseres Mediensystems sind solche Denkanstöße wichtig und notwendig. Schließlich geht es um die Frage, wie die individuelle Meinungsbildung und der freiheitlich-demokratische Diskurs im Netz gewährleistet werden können und alle Bevölkerungsgruppen daran partizipieren.

Hachmeister benennt Defizite bei der aktuellen Förderung von unabhängigen Produktionen. Dass es Bedarf an hochwertigem Content gibt, daran besteht kein Zweifel. Nun ist die Idee eines unabhängigen Fonds nicht ganz neu. Zur Umstellung der Rundfunkgebühr auf den -beitrag forderte bereits die AG Dok vor fünf Jahren, einen Teil der Abgabe „direkt an hochwertige, aufregende, kulturell bedeutsame, gesellschaftlich relevante Internet-Projekte (zu) vergeben, die dafür dauerhaft, weil fair bezahlt, im Netz verfügbar bleiben.“

Auch wenn die Idee einer „dritten Säule“ charmant klingt, sind grundsätzliche Fragen der Ausgestaltung im Konzept Hachmeisters, das sich allerdings noch in der Entwicklung befindet, nicht beantwortet. Wie können beispielsweise die strengen Qualitätsanforderungen eines öffentlich-finanzierten Programms gesichert werden, wer überprüft die Einhaltung der Grundwerte, der Menschenwürde und der journalistischen Standards, wenn diese Produktionen eben nicht kuratiert werden sollen? Auch die Vergabe des DFFF (first come, first serve) wird immer wieder kritisch gesehen und dient vielleicht nicht als nachahmenswertes Modell. Auch die Verbreitung der so produzierten Inhalte – ob über eine eigene Plattform oder über die Ausspielkanäle der öffentlich-rechtlichen Sender – ist von Hachmeister noch nicht konkretisiert worden. Seine Arbeitsgruppe wird bei der weiteren Ausarbeitung ihres Konzepts diese Fragen beantworten müssen.

Die Einrichtung einer Plattform oder verschiedener Plattformen wurde ebenfalls auf der Böll-Tagung diskutiert. Da die Nutzung des Medienangebots immer weniger linear erfolgt, ist es eine Überlebensfrage insbesondere für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, seine Rezipient*innen im Netz zu finden. Deshalb muss der Plattform-Gedanke weiterverfolgt werden, auch um ein Gegengewicht zu den großen marktbeherrschenden Plattformen aufzubauen.

Auch die rbb-Intendantin Patricia Schlesinger warb für die Einrichtung einer nationalen Plattform, für die sie einen zusätzlichen Finanzbedarf in Höhe von zwei Milliarden Euro als notwendig erachtet, der nicht aus den Beitragsmitteln zu stemmen sei. Wenn eine solche Struktur neu geschaffen werden soll, muss meines Erachtens allerdings auch geschaut werden, wo an anderer Stelle gespart werden kann, um die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Bevölkerung und seiner gemeinschaftlichen Finanzierung nicht zu gefährden. Dafür muss die Medienpolitik der Länder sorgen.

Ob die Medienpolitik dazu in der Lage ist, bezweifelt Hachmeister. Zugespitzt formuliert er seine Kritik, dass sie sich in einem Wachkoma-ähnlichen Zustand befinde und bis heute aufgrund ihres „föderalen Klein-Kleins“ nicht in der Lage sei, das „antiquierte Regulierungsregime“ zu überwinden und endlich Medien-, Netz- und Digitalpolitik zusammen zu denken.

Jedenfalls sind wir von der Realisierung einer nationalen, geschweige denn einer europäischen Plattform weit entfernt. Um große Projekte wie eine nationale Plattform stemmen zu können, bedarf es einer Reform der Medienpolitik. Denn um handlungsfähig zu sein und die Zusammenschau von Medien- und Digitalpolitik zu gewährleisten, müsste die Medienpolitik neu aufgestellt werden. Blockaden durch einseitige Fixierung auf Standortinteressen könnten etwa überwunden werden, wenn sich die Länder im interföderalen Bereich der Regulierung auf das Prinzip einer (qualifizierten) Mehrheit verständigen und sich so vom Einstimmigkeitsprinzip lösen könnten. Das könnte der Weg zur Ermöglichung dringender Reformen unseres Mediensystems sein.

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