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Den Auftrag endlich der digitalen Welt anpassen

Um mehr Öffentlichkeit herzustellen, muss die Entwicklung als Plattform vorangetrieben werden

Dieser Gastartikel von Tabea Rößner ist am 17.12.2020 auf medienpolitik.net erschienen.

Kostbare Zeit ist vergangen, seit die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (KEF) vor fünf Jahren einen Anstieg des Rundfunkbeitrags auf über 20 Euro prognostizierte. Die daraufhin von der Rundfunkkommission der Länder eingerichtete AG zu Auftrag und Struktur brachte keine Reform zustande. Stattdessen wurden Einsparungen bei den Sendeanstalten eingefordert. Die Sender haben Vorschläge gemacht und Einsparungen vorgenommen, die bereits heute im Programm deutlich spürbar sind. Bereits jetzt bemängeln Rundfunkteilnehmende immer wieder, dass es zu viele Wiederholungen gebe und in manchen Hörfunkprogrammen der Wortanteil auf ein Minimum reduziert sei. Gleichzeitig soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich ins Digitale entwickeln. Es werden ihm also immer neue Aufgaben zugewiesen, aber Altprogramme werden nicht auf ihre Notwendigkeit geprüft. Und letztlich geht es beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer auch um Standortpolitik, denn die Ministerpräsident*innen wollen die Berichterstattung vor Ort und Einrichtungen des Rundfunks in ihren Bundesländern.

Nach dem Debakel von Sachsen-Anhalt hat die Rundfunkkommission nun erklärt, sie wolle die Reform angehen. Das ist mehr als überfällig. Wenn aber jetzt wieder nur „Einspar- und Strukturoptimierungsmöglichkeiten … in die zukünftig erforderlichen Reform- und Optimierungsüberlegungen einbezogen werden“ sollen, wie es in der Pressemitteilung der Koordinatoren der Rundfunkkommission Heike Raab und Oliver Schenk heißt, und die Länder gleichzeitig „die digitale Transformation der Anstalten und ihrer Angebote vorantreiben“ wollen, muss neben der Struktur zwingend auch der Auftrag neu justiert werden. Denn der Finanzbedarf folgt dem Auftrag, und an den wollen die Länder bisher nicht ran.

Oberstes Gebot bei einer Reform ist die Erhaltung der Funktionsfähigkeit im Sinne seines verfassungsgemäßen Auftrags. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Bestands-, Entwicklungs- und Finanzierungsgarantie zugesprochen. Neben einer Neujustierung des Auftrags müssen institutionelle Veränderungen getrennt betrachtet werden.

Wie also muss der Auftrag zukünftig lauten? Die Länder formulieren den Auftrag, den die Sendeanstalten im Rahmen ihrer Programmautonomie erfüllen. Im Medienstaatsvertrag sind die beauftragten Programme (Fernseh-, Radio- und digitale Zusatzprogramme) aufgeführt sowie die Aufgaben der Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung und beispielsweise welche Sportarten zu berichten sind und vieles mehr. Gleichzeitig werden Beschränkungen für die öffentlich-rechtlichen Sender aufgeführt wie das Verbot der Presseähnlichkeit.

„Neben der Struktur muss zwingend auch der Auftrag neu justiert werden. Denn der Finanzbedarf folgt dem Auftrag, und an den wollen die Länder bisher nicht ran.“

Angesichts des veränderten Kommunikationsverhaltens, der viralen Verbreitung von Desinformation und Verschwörungstheorien durch die Digitalisierung muss vorrangiges Ziel sein, den Online-Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks fit für diese Herausforderungen zu machen. Dabei bietet gerade dieser die Chance, junges Publikum zu gewinnen. Auch wenn das Fernsehen bei Älteren noch als Leitmedium gilt, wird das Angebot zukünftig weniger linear genutzt werden. Darauf müssen sich die Sender einstellen. Es wird also weniger darauf ankommen, den Audience Flow im linearen Programm zu sichern, sondern echte digitale Angebote zu machen, die der Netzlogik folgen. Diese Anpassung des Auftrags für die digitale Welt ist dringend erforderlich.

Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine wichtige Säule des Meinungsbildungsprozesses sein und seinen Beitrag zum gesellschaftlich demokratischen Diskurs leisten soll, muss er Öffentlichkeit herstellen. Diese Öffentlichkeit kann er im Digitalen nur als Plattform erzeugen. Daher muss die Entwicklung als Plattform vorangetrieben werden. In diesem Zusammenhang ist die geplante Individualisierung und Personalisierung kritisch zu bewerten. Denn diese wirken hinsichtlich eines demokratischen Diskurses kontraproduktiv.

Das heißt aber auch, sämtliche bestehende analoge Programme auf den Prüfstand zu stellen. Wie viele Hörfunkprogramme braucht es zukünftig wirklich? Muss jedes Sendegebiet einen Info-Kanal, einen eigenen Schlager-, einen Oldie-, einen Klassik-, einen Pop- und einen Jugendsender haben, wenn gleichzeitig der Wortanteil minimal ist und jegliche regionale Färbung fehlt? Für viel Geld wurden in der Vergangenheit Beratungsfirmen engagiert, die die Formatierung des Programms auf die Spitze trieben. Wer regelmäßig Landesgrenzen quert, kann einen Unterschied der Hörfunkprogramme der jeweiligen Landessender kaum erkennen. Im Moment sind die Bestrebungen der Sender, ihre Hörfunkprogramme zu reduzieren und ihre eigenen Wellen zusammenzulegen. Jeder spart für sich. Aber ist das der richtige Weg? Sollte es nicht besser mehr Kooperationen zwischen den Sendeanstalten geben, um die verschiedenen Klangfarben zu erhalten und dafür lieber die regionale Berichterstattung zu stärken? Müsste es nicht eher heißen: Weg von der Formatierung und Homogenisierung hin zu mehr Fokussierung. Mehr Regionales. Warum also nicht mehr bundesweite Programme in den unterschiedlichen Klangfarben mit mehr Berichterstattung über die Regionen und Aufschaltung in regionale Fenster? Als Kitt unserer Gesellschaft muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Regionen stärker abbilden – und zwar bundesweit, genauso wie europäische Themen.

„Muss es nicht heißen: Weg von der Formatierung und Homogenisierung hin zu mehr Fokussierung?

Oft wird kritisiert, dass zu viele Krimis im öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramm laufen oder zu viel Geld für teure Sportrechte ausgegeben werden. Das sind überwiegend programmliche Fragen, deren Beantwortung den Sendern und ihrer Aufsicht obliegt. Meines Erachtens aber muss der Umfang dieser Anteile an der Berichterstattung durchaus diskutiert werden, ob vielleicht Informations-, Bildungs- und Kulturanteile gestärkt und bei der Unterhaltung das öffentlich-rechtliche Profil mehr im Vordergrund stehen sollten.

Die Aufsicht über das Programm nehmen die Rundfunk- und Fernsehräte wahr, sie muss dringend gestärkt werden. Schon lange gibt es die Forderung, Gremiensitze nicht als Versorgungsposten zu besetzten, sondern Menschen in die Räte zu entsenden, die Interesse und Kenntnisse in dem Bereich mitbringen. Weiterbildungsmöglichkeiten und Budgets für eigene Gutachten sollten die Gremien bei ihrer Aufgabe unterstützen.

Nicht zuletzt sollten Möglichkeiten gefunden werden, die Nutzer*innen stärker einzubinden. Ob institutionell als Publikumsräte oder einzelnen Gremiensitzen, auf die sich Interessierte bewerben können, oder in Form von Rückkanälen zum Programm – dies würde die Zuschauerbindung fördern und Akzeptanz festigen.

Wenn die Rundfunkkommission der Länder nicht in der Lage ist, diese Fragen alle zu diskutieren und zu beantworten, wäre die Einsetzung einer unabhängigen Expertenkommission ein Weg, Reformvorschläge ohne eigene (Standort)Interessen zu erarbeiten. Die Länder müssten dann aber bereit sein, diese Vorschläge auch umzusetzen.

Was aber die Diskussion über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den vergangenen Wochen deutlich gezeigt hat: Es gibt viele Meinungen, aber wenig Kenntnis und kaum eine öffentliche Debatte über den Wert eines unabhängigen, eines staats- und gruppenfern organisierten Rundfunks für unsere Demokratie. Dabei wäre es dringend geboten, gerade auch vor Ort über Bedeutung und Funktionsweise von Journalismus zu sprechen und das gesellschaftliche (Ein)Verständnis wiederherzustellen.

https://www.medienpolitik.net/2020/12/den-auftrag-endlich-der-digitalen-welt-anpassen/

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