Gastbeitrag : Wir brauchen eine Kommission und einen Publikumsrat

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien am 15.11.22 folgender Beitrag von mir und Kalle Hain:

Vorschlag für einen strukturierten Prozess einer grundlegenden Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Tom Buhrow hat etwas getan, was für einen wie ihn in normalen Zeiten absolut untunlich ist. Als einer aus der Führungsriege des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat er die „große Reform, jetzt“ gefordert. Er stellt laut und deutlich die unangenehmen Fragen, die schon lange virulent und für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zunehmend zu Existenzfragen geworden sind. Zudem benennt er eine sinnvolle, freilich die vorhandenen Strukturen weitgehend infrage stellende Zielvorstellung: eine einzige große, öffentlich-rechtliche Mediathek für non-lineare Inhalte. Ungeschminkt schildert er aber auch die Dysfunktionalitäten der Länder- und Sender-Medienpolitik, die von Standort-, Eigen- und Lobbyinteressen regiert werde und ihm daher zur großen Reform nicht fähig erscheint. Daher sieht er die Notwendigkeit, aus diesem System auszubrechen, um mehr als das Klein-Klein zu erreichen, von dem nicht zuletzt manche der erwartbaren Abstoßungsreaktionen auf seine Rede zeugen.

Neue Wege beschreiten

Für eine Reform, die mehr sein soll als ein Reförmchen, bedarf es tatsächlich eines Settings, das zumindest die Chance bietet, mit Blick auf einen größeren Horizont die ausgetretenen Pfade zu verlassen. Man muss nicht – wie prompt manche Vertreterinnen und Vertreter der Länder – besonders betonen, dass es am Ende des Tages eben die Länder sind, die eine Reform zu beschließen haben werden. Das steht außer Zweifel. Interessanter ist die Frage, welche Schritte diesem im engeren Sinne politischen Entscheidungsprozess vorangehen sollten und wer sie gehen sollte, damit die Chance besteht, zumindest mittelfristig tragfähige Antworten auf die drängenden großen Fragen zu finden. Buhrow selbst denkt an „einen Runden Tisch, der einen neuen Gesellschaftsvertrag ausarbeitet. Eine Art verfassungsgebende Versammlung für unseren neuen, gemeinnützigen Rundfunk.“ Von Bayern aus wird in diesem Zusammenhang bereits das Vorbild des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee beschworen. Nach den Vorstellungen des nordrhein-westfälischen Medienministers Liminski sollen von den Ländern zu benennende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens mit einer gewissen Unabhängigkeit und Distanz wie (ehemalige) Verfassungsrichter, Gewerkschafter und Vertreter der Wirtschaft Mitglieder eines solchen Runden Tisches werden. Unabhängigkeit von den Stakeholdern ist in der Tat unverzichtbar. Allerdings besteht bei einer Auswahl durch die Länder und bei der Beteiligung von Vertretern gesellschaftlicher Gruppen das Risiko, dass die bestehenden Gräben nicht verlassen werden. Und wenn auch verdiente Persönlichkeiten dieser Gesellschaft wie (ehemalige) Verfassungsrichter über persönliche Unabhängigkeit verfügen mögen, muss bei allem gebotenen Respekt die Frage erlaubt sein, ob sie möglicherweise eine zu große Distanz zu der in dynamischem Wandel befindlichen Welt der Medien sowie zur Lebensrealität und zum Mediennutzungsverhalten gerade der jüngeren Gruppen potenzieller Nutzerinnen und Nutzern haben könnten, deren Akzeptanz die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks legitimieren muss.

Expertise als Diskussionsgrundlage unverzichtbar

Wir machen im Folgenden einen anderen Vorschlag. Dabei gehen wir von den Prämissen aus, dass fachliche Expertise unverzichtbar ist und die der Politik zu unterbreitenden Reformvorschläge in der Breite der Gesellschaft, deren Treuhänder der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist, angelegt und von ihr getragen sein müssen. Dies soll institutionell umgesetzt werden durch eine Kombination aus einer Expertenkommission und einem Publikumsrat, der an das Modell der Bürgerräte angelehnt ist. Eine auch von ihrer Größe her arbeitsfähige Expertenkommission soll aus unabhängigen und ausgewiesenen (nicht ausschließlich universitären) Vertreterinnen und Vertretern der medienrelevanten Disziplinen wie Kommunikationswissenschaften, Journalistik, Soziologie, Medienökonomie und Medienrecht zusammengesetzt sein, die mit dem öffentlich-rechtlichen System vertraut sind. Die Mitglieder der Kommission sollten von einem Amtsträger benannt werden, der kraft Ausgestaltung seines Amtes am ehesten die Gewähr für die Neutralität der Auswahl bildet. In Betracht käme etwa der Bundespräsident.

Die Aufgabe der Kommission soll zum einen darin bestehen, eine Analyse des Meinungsbildungsprozesses, insbesondere auch des veränderten Mediennutzungsverhaltens im digitalen Zeitalter, des Status quo des Mediensystems, der Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in diesem System, seiner Defizite und des daraus resultierenden Reformbedarfs zu erarbeiten. Zum anderen soll diese Kommission Möglichkeiten und (nicht zuletzt rechtliche) Grenzen hinsichtlich einer Reform aufzeigen, die die Existenz und die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sichern kann. Aufgabe der Kommission soll aber nicht sein, einen bereits abgeschlossenen Reformentwurf vorzulegen.

Einbindung der Gesellschaft notwendig

Vielmehr bilden die Arbeitsergebnisse der Kommission die rationale Grundlage für eine in der Gesellschaft wurzelnde Diskussion über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Tom Buhrow bringt die Interessen der Nutzer bzw. der Beitragszahler ins Spiel und plädiert für eine gesamtgesellschaftliche Basierung und die Einsetzung eines Runden Tisches. Auch Carsten Brosda mahnt die gesellschaftliche Definition von öffentlich-rechtlicher Qualität an und beschwört das Publikum, das über den Erfolg entscheide, lehnt jedoch die Ausweitung des Reformprozesses über den politischen Zirkel der Akteure der Ländermedienpolitik ab. Wer die gesamtgesellschaftliche Perspektive einfordert, sollte aber bereit sein, die Gesellschaft bzw. das Publikum, von dessen Akzeptanz die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks abhängt, in den Reformprozess einzubeziehen ‑ zumal weder die Anstalten selbst noch die Länder es bislang geschafft haben, die großen Fragen der Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu beantworten.

Welche Art von Versammlung könnte das Publikum repräsentieren? Und  zugleich die Chance bieten, die eingefahrenen Gleise zu verlassen und ohne Denkverbote, aber auf der die Diskussion rationalisierenden Grundlage der Ergebnisse der Expertenkommission und ihrer fortlaufenden Beratungen einen Reformvorschlag zu entwickeln? Wir meinen, dass dafür ein Publikumsrat in Betracht kommt, der auf der Grundlage von Bewerbungen aus per Los ausgewählten Vertreterinnen und Vertretern der relevanten gesellschaftlichen Segmente (wie Altersgruppen) zusammengesetzt ist. Die Diskussion im Publikumsrat müsste moderiert werden. Diese Aufgabe könnte in der Tat von verdienten Persönlichkeiten der Gesellschaft übernommen werden.

Die in der Kommission und im Publikumsrat, denen für ihre jeweiligen Verhandlungen ein sinnvoll begrenzter Zeitrahmen vorgegeben werden sollte, erzielten Ergebnisse müssen öffentlich vorgestellt werden und verfügbar sein. Zur Aufgabe der Mitglieder gehört es, die Ergebnisse in die Gesellschaft zu tragen.

Autorisierung durch die Länder

Der hier skizzierte Prozess muss durch die Länder autorisiert werden. Damit die Ergebnisse dieses Prozesses nicht folgenlos bleiben, sollten die Länder sich darauf verständigen, sie zur Grundlage ihrer politischen Beratungen zu machen. Ein interföderaler Staatsvertrag sollte die Basis für die Umsetzung der Reform in den Ländern bilden. Damit Blockaden einzelner Länder aus Eigen- und Standortinteressen unterbleiben, wäre es sinnvoll, dass die Länder sich zuvor staatsvertraglich darauf einigen, für diese Reform vom Einstimmigkeitsprinzip abzuweichen und mit (qualifizierter) Mehrheit zu entscheiden.

Möglich wäre dieser Weg. Viele Akteure und Kommentatoren werden indes sogleich reflexhaft abwinken. Dessen sind wir uns bewusst. Aber in dieser existenziellen Krise kann die Zukunft des für die freiheitliche Demokratie so bedeutenden öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht gesichert werden, wenn alles beim Alten bleibt.

Tabea Rößner und Karl-E. Hain

Der Gastbeitrag erschien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Ausgabe 266/46, am 15 November auf Seite 13.

Teile diesen Inhalt:

Artikel kommentieren


* Pflichtfeld