Rede zur Regulierung des Messengerdienstes Telegram
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren,
wir kennen das ja schon aus der letzten Wahlperiode: Die AfD spielt sich als einzige Verfechterin der Meinungsfreiheit auf. Wir wissen auch, dass das alles andere als glaubwürdig ist. Denn Sie beschimpfen Andersdenkende, Sie hetzen gegen bestimmte Menschengruppen, vor allem diskreditieren Sie Journalist:innen und unabhängige Medien. Das zeigt, was Sie unter Meinungsfreiheit verstehen – dieses Verständnis teilt der Großteil dieses Hauses und der Bevölkerung nicht!
Wenn ein Abgeordneter aus Ihren Reihen sagt – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin den AfD-Abgeordneten Eugen Schmidt: „Die Medien werden in Deutschland selbstverständlich komplett von der Regierung kontrolliert. Alternative, oppositionelle Meinungen sind nicht vertreten.“
Dann frage ich: In welcher Welt leben Sie eigentlich? Allein dass Sie solchen Unfug verbreiten können, zeigt doch, dass Sie Ihre Meinung hier frei äußern können. Das ist manchmal schwer erträglich, aber das hält unsere Demokratie aus.
Der Abgeordnete setzte noch einen drauf und behauptete, eine „regierende Elite“ unterdrücke „alle anderen Meinungen mit allen möglichen Mitteln“ und verfolge in Deutschland Andersdenke mit Gewalt.
Das, meine Damen und Herren, schürt Hass auf Politiker:innen. Das können wir nicht so stehen lassen. Nach dem Mord an Walter Lübcke, nach Halle und Hanau wissen wir, welche Taten folgen können. Das zu verhindern, ist unsere Aufgabe. Dem stellen wir uns als Demokratinnen und Demokraten entschieden entgegen.
Das war auch das Grundanliegen, weshalb das NetzDG verabschiedet wurde. Und dieses Anliegen war und ist richtig. Denn auf sozialen Netzwerken gibt es ein massives Problem mit rechtswidrigen Inhalten. Mord- und Gewaltaufrufe, extremistische und antisemitische Inhalte gehören zur Tagesordnung. Accounts von Demokratiefeinden, von rechtsextremen Gruppen oder von Pandemie-Leugner:innen erreichen sechsstellige Follower-Zahlen. Bei der Vernetzung dieser Gruppen spielt Telegram eine entscheidende Rolle.
In diesem Dunstkreis mischen Sie mit! Das zeigen Äußerungen von AfD-Politikern zu Umsturz- und Bürgerkriegsfantasien auf Telegram-Kanälen. Sie sind daher weniger der tapfere Ritter im Kampf gegen Zensur. Vielmehr wollen Sie eine Regulierung verhindern, die strafrechtlich relevanten Kanälen ein Ende bereiten könnte, von deren Reichweite Sie profitieren.
Es gibt immer zwei Seiten einer Medaille. Netzwerke wie Telegram ermöglichen eine niedrigschwellige, selbstorganisierte Kommunikation, auf die man in vielen Teilen dieser Welt bitter angewiesen ist. Das sehen wir derzeit in der Ukraine und Russland, wo Journalist:innen und Oppositionelle wie Bürgerinnen und Bürger sich über diesen Dienst wichtige Informationen austauschen.
Das Informationsbedürfnis ist groß. Präsident Selenskyj, der hier heute Morgen gesprochen hat, erreicht über seinem Telegram 1,5 Millionen Menschen. Zeitungen wie Kyiv Independent berichten in einem eigenen Kanal über den russischen Angriffskrieg und versorgen die Menschen mit lebenswichtigen Informationen. Die Massendemonstrationen in Belarus vor anderthalb Jahren wurden über die App organisiert, als keine anderen Kommunikationswege mehr zur Verfügung standen.
Man möchte vor Scham in den Boden versinken, wenn Sie sich mit Verfolgten in autoritären Regimen auf eine Stufe stellen und die Regulierung von sozialen Netzwerken in Deutschland als Schritt in die Diktatur anprangern! Wo bitte soll denn dieser autoritäre Staat sein, der Sie verfolgt, weil Sie Ihre hanebüchenen Verschwörungsmythen eines unterjochten Volkes kundtun, mit Desinformation aufwiegeln, menschenfeindliche Ressentiments bedienen und auf der Grenze zur Verfassungswidrigkeit balancieren?!
Um es klar zu sagen: Eine Sperrung von Telegram ist falsch, das haben wir stets betont. Auch die Entfernung aus den App Stores wäre ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Meinungsfreiheit. Zudem würde es ja nur dazu führen, dass die Akteure in andere Netzwerke abwandern.
Das ist auch der Bundesinnenministerin bewusst, die gestern den Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vorgestellt hat. Dass darin an erster Stelle steht, rechtsextreme Netzwerke zu zerschlagen, sie zu entwaffnen, ist die richtige Schwerpunktsetzung. Denn hier wurde zu lange zugeschaut. Und, ja, Behörden müssen so aufgestellt sein, dass sie auch auf sozialen Netzwerken nach rechtstaatlichen Verfahren ermitteln können.
Der Messengerdienst als solcher ist nicht gefährlich. Auch die Motivation des Betreibers Pawel Durov mag einem hehren Ziel dienen – nämlich Nutzerdaten zu schützen, wie er es nach eigenem Bekunden bereits vor der russischen Regierung getan hat.
Wir würden uns wünschen, dass er dafür auch endlich den Verschlüsselungsstandard von Telegram anhebt. Denn noch müssen Oppositionelle, die verfolgt werden, zusätzliche Schutzmaßnahmen ergreifen. Das Unternehmen muss erkennen, dass der Dienst massiv genutzt wird, um rechtswidrige Inhalte und Desinformation zu verbreiten – dabei drohen fatale Auswirkungen, wie wir es bei den gezielten Fehlinformationen im Kriegsgebiet der Ukraine sehen können.
Bei aller Vorsicht vor Überregulierung: In einem öffentlichen Raum gibt es Regeln, an die sich auch Anbieter von Plattformen halten müssen. Dabei geht es bei Telegram gerade nicht um einen Eingriff in die 1-zu-1-Kommunikation oder in geschlossene Chatgruppen bestimmter Größe. Der Dienst dient über öffentliche Gruppen auch als Massenverbreitungsinstrument. Die verschiedenen Kommunikationsteile von Telegram müssen daher getrennt betrachtet werden.
Die Radikalisierung einer Minderheit, die in öffentlichen Gruppen stattfindet, stellt eine Bedrohung für die Gesellschaft und damit für unsere Demokratie dar. Es ist gut, dass es erste Anzeichen gibt, dass Telegram Verantwortung übernimmt. So löschte der Dienst bereits vor Jahren routinemäßig Propaganda des Islamischen Staats. In den vergangenen Wochen wurden auch 64 deutschsprachige Kanäle mit extremistischen Inhalten gesperrt.
Um Willkür und unrechtmäßiges Löschen zu verhindern sowie Transparenz und Widerspruchsmöglichkeiten zu sichern, genau dafür sind gesetzliche Regelungen notwendig.
Und wenn wir vom NetzDG sprechen – übrigens ein Überbleibsel der Vorgängerregierung: Wir haben unsere Bedenken jahrelang geäußert – bezüglich der Verfassungskonformität und des Unionsrechts, datenschutzrechtliche Bedenken aufgrund der Datenweitergabe an das BKA – unsere Änderungsanträge wurden allesamt abgelehnt. Nun befassen sich die Gerichte damit.
Im Koalitionsvertrag haben wir uns auf eine Gesamtbetrachtung der Problematik geeinigt. Dazu gehören neben der Überarbeitung des NetzDG das digitale Gewaltschutzgesetz, die Login-Falle und die Beseitigung offenkundig bestehender Durchsetzungsdefizite.
Diese nationalen Regulierungen müssen in den europarechtlichen Rahmen eingebettet sein.
Der Digital Services Act befindet sich gerade im Trilog. Je nach Verhandlungsergebnis könnte Telegram dann auch unter dieses Gesetz fallen. Ich begrüße, dass sich abzeichnet, dass Plattformen künftig verpflichtet werden, bei strafbaren Inhalten einzugreifen und deutlich besser mit den Behörden zu kooperieren.
Wir müssen uns zudem der grundsätzlichen Frage widmen, wie angesichts der fortschreitenden Fragmentierung von Öffentlichkeit im Digitalen eine gemeinsame Basis für den sachorientierten, demokratischen Diskurs gefunden werden kann.
Dass eine Nicht-Regulierung auf Dauer schwerwiegende Auswirkungen auf den Meinungsbildungsprozess haben, zeigen Studien: Jede:r zweite junge Erwachsene hat bereits digitale Gewalt erfahren, Nutzer:innen ziehen deshalb aus öffentlichen Diskursen zurück. Hasskriminalität beeinträchtigt so den demokratischen Diskurs und spaltet die Gesellschaft. Es ist daher dringend erforderlich, öffentliche, digitale Kommunikationsräume so zu gestalten, dass eine gemeinsame Debatte gewährleistet ist, in dem sich die Menschen ihre Meinung frei bilden können.
Unterschätzt wird in diesem Zusammenhang der Aspekt der Monetarisierung von Inhalten. Der Werbemarkt digitaler Medien hat den analogen seit 2021 auf den zweiten Platz verdrängt. Dabei profitieren Plattformen von der Reichweite polarisierender Inhalte. Ein Geschäftsmodell, dass genauer betrachtet werden muss, denn es befördert das Auseinanderdriften der Gesellschaft und untergräbt eine gemeinsame Basis für öffentliche Debatten.
Eine wichtige Rolle hat spielt da der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Er wird von den Bürger:innen – von uns allen – finanziert und ist von Werbeeinnahmen unabhängig. Dazu kommt die staatsferne Aufsicht durch gesellschaftliche Gruppen. Übrigens sitzen auch AfD-Vertreter in einigen Rundfunkräten. Trotzdem wollen Sie die öffentlich-rechtlichen Sender am liebsten abschaffen. Diese Logik erklärt sich mir nicht. Außer vielleicht damit, dass Sie ein Problem mit kritischer Berichterstattung haben. Die tun nämlich ihren Job und setzen sich kritisch mit Politik und Gesellschaft auseinander.
Neben dem neuen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus brauchen wir weitere Maßnahmen, um die Radikalisierung von Teilen der Gesellschaft umzukehren: Das Gesetz gegen digitale Gewalt und das Demokratiefördergesetz, um zivilgesellschaftliches Engagement, Aufklärung und Aussteigerprogramme nachhaltig zu fördern. Wir brauchen mehr zivilgesellschaftliche Gegenrede und mehr journalistische Einordnung von Desinformation. Das macht unsere Demokratie wehrhaft.
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