Impuls-Vortrag beim #Digitalgipfel20 zu nachhaltiger Software

Der Digitalgipfel der Bundesregierung stand dieses Jahr unter dem Motto „Digital nachhaltiger Leben“. Der Bundesverband IT-Mittelstand e.V. hatte mich eingeladen, bei der Diskussion zu „Nachhaltiger Software – Methoden und Praxis“ ein Eingangs-Statement zu geben. Einen kurzen Bericht dazu gibt es auf der Webseite des Bundesverband IT-Mittelstand e.V. und beim Tagesspiegel Background Digitalisierung vom 1. Dezember 2020 (Paywall).

Hier findet Ihr mein Eingangs-Statement in voller Länge zum Nachlesen:

Meine Mutter hatte über 40 Jahre eine Waschmaschine – und das mit einem 9-Personenhaushalt. Ich habe zwei Kinder und meine 3. Waschmaschine. Das zeigt: Unsere Geräte halten immer kürzer.

Gerade im IT-Bereich sind die Lebenszyklen extrem kurz. Alle zwei Jahre ein neues Smartphone oder Laptop – das bedeutet eine extreme Belastung für die Umwelt. Allein in Deutschland fallen jedes Jahr 19,4 Kilogramm Elektroschrott pro Kopf an. 200 Millionen alte Handys liegen ungenutzt in den Schubladen deutscher Haushalte. Wir recyclen viel zu wenig, ein Großteil des Elektroschrotts landet in den Ländern des globalen Südens auf riesigen Müllhalden, wo Kinder versuchen, die wertvollen Metalle aus den alten Geräten zu kratzen.

Abgesehen von der Umweltbelastung ist es auch aus Verbrauchersicht ärgerlich, wenn Elektronikgeräte nur kurze Zeit nutzbar sind. Allerdings hat es lange gedauert, bis das Problem auf die politische Agenda kam.

Als grüne Bundestagsfraktion thematisieren wir das schon lange. Als vor 11 Jahren die Enquetekommission „Internet und digitale Gesellschaft“ eingesetzt wurde, haben wir das Thema Green-IT aufgesetzt, bearbeitet wurde es aber kaum.

Anfang des Jahres haben wir erneut Vorschläge gemacht, wie die Langlebigkeit und Reparaturfähigkeit von Elektronikgeräten gesetzlich verbessert werden kann und wie wir die Sammel- und Recyclingquoten erhöhen können, so dass wir zu einer echten Kreislaufwirtschaft kommen.

Viele der entscheidenden Weichen für nachhaltigere Hard- und Software werden auf EU-Ebene geregelt. Gerade erst in der vergangenen Woche hat das Europäische Parlament ein „Recht auf Reparatur“ beschlossen. Reparieren soll einfacher und billiger werden – etwa dadurch, dass Hersteller Kunden und Handwerkern alle nötigen Informationen für den Austausch von Teilen liefern und sich verpflichten, Ersatzteile lange genug vorzuhalten.

Aber auch auf Bundesebene können wir eine nachhaltigere IT befördern, beispielsweise bei der Reform des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes. Dort könnten wir modulare Designs für Elektrogeräte festlegen, damit sie leichter repariert und wiederverwendet werden können. Hier könnten wir auch verankern, dass beispielsweise Kernkomponenten wie Akkus für die Nutzerinnen und Nutzer problemlos zu entnehmen und austauschbar sein müssen.

Die Beispiele zeigen, dass sich die bisherigen Anstrengungen der Politik für eine nachhaltigere IT vor allem auf den Hardware-Bereich richten.

Dabei müssen wir nachhaltige Hardware und nachhaltige Software zusammendenken.

Nicht jeder will sich jedes Jahr ein neues Handy zulegen. Doch wer seine alte Hardware länger nutzen will, stößt an die Grenzen, die die Software setzt. Neue Softwareprogramme sind tendenziell immer ressourcenhungriger und so designt, dass Web-Browser und andere Programme immer höhere Ansprüche an Arbeitsspeicher und Prozessor stellen und so mehr Strom verbrauchen. Alte Hardware hält da oft nicht mit, der Arbeitsspeicher reicht nicht aus oder Geräte überhitzen.

Ein anderes Problem ist natürlich der Support und die Pflege und Weiterentwicklung alter Software. Neuere Software-Programme werden oft nur für neue Hardware entwickelt. Wenn ich aber die alte Software auf meinem alten Gerät weiternutze, wird die von den Herstellern nicht unterstützt: Es gibt keine Updates mehr, Sicherheitslücken können nicht mehr geschlossen werden. So werde ich als Nutzerin, die eigentlich gerne ein funktionierendes älteres Gerät gerne länger nutzen möchte, dann doch zum Neukauf gezwungen.

Nachhaltige Software muss also meines Erachtens folgende Bedingungen erfüllen:

Erstens: Sie muss in ihrem Energie- und Ressourcenhunger begrenzt werden. Programme wie beispielsweise Office-Pakete sollten nicht mit einer riesigen Zahl an Zusatzfunktionen überladen werden, die von durchschnittlichen Nutzern kaum je benutzt werden, im Hintergrund aber immer mitlaufen und so Energie verbrauchen. Eine Lösung kann sein, Software modularer zu gestalten. Ein Office-Paket wäre dann beispielsweise nur noch mit den Kernfunktionen ausgestattet, die für 90 Prozent der Nutzer völlig ausreichen. Weitere Funktionen können als Zusatzpakete zur Verfügung gestellt werden, die dann installiert werden, wenn sie gebraucht werden. Dadurch kann viel an Energie gespart werden und Programme mit Kernfunktionen könnten dann auch auf alter Hardware noch länger problemlos laufen. Dieses modulare Design wird schon in der Entwicklung Freier Software beachtet und Add-Ons separat entwickelt.

Zweitens: Für die längere Nutzung bestehender Hardware sind offene Schnittstellen unentbehrlich.

Beendet ein Unternehmen den Software-Support, kann ein Gerät von interessierten Bastlern mit alternativer Software bespielt werden. Unter Hackern ist dies schon lange eine beliebte Herausforderung: Geräte wie zum Beispiel alte Hoverboards mit einer neuen Firmware zu bespielen. Wie schwierig einem das gemacht wird, erlebe ich gerade bei der Aufbereitung gespendeter Laptops.

In unserem grünen Antrag für ein Recht auf Reparatur haben wir daher auch gefordert, dass in der EU-Öko-Design-Richtlinie verankert werden soll, dass der Zugriff auf die Treiber der Hardware sowie auf die Hardwareschnittstellen eines Elektrogerätes durch die Hersteller ermöglicht und hierfür die technischen Standards und Schnittstellen eines Elektrogerätes veröffentlicht werden sollen.

Außerdem sollen nach dem Supportende für ein Elektrogerät der Softwarecode unter einer freien Lizenz veröffentlicht und alle Hardwarespezifikationen freigegeben werden. Ich denke hier natürlich sehr aus der Perspektive des einzelnen Nutzers, aber die Stärkung offener Schnittstellen erschafft auch neue Geschäftsmodelle, wenn Hardware mit ganz unterschiedlicher Software bespielt und genutzt werden kann.

Zusammengefasst ist mir also wichtig, dass Geräte modular designt werden – sowohl Hardware als auch Software, dass offene Schnittstellen und freie Software stärker unterstützt werden und dass die Verbraucherinnen und Verbraucher die Möglichkeit bekommen, ihre Geräte länger und nach ihren eigenen Bedürfnissen zu nutzen.

Das neue Umweltsiegel „Blauer Engel für ressourcen- und energieeffiziente Softwareprodukte“ ist aus meiner Sicht ein sehr wichtiger Ansatz. Denn auch dieses Siegel bietet Verbraucherinnen und Verbrauchern die Chance, beim Kauf von Software ihre Kaufentscheidung nach Nachhaltigkeitsaspekten auszurichten. Gut wäre ein Label mit Infos, wie lange Elektrogeräte supportet werden und wie lange die erwartete Lebensdauer eines Gerätes ist.

Aus Erfahrung habe ich meine Zweifel, ob eine freiwillige Zertifizierung langfristig ausreichen wird. Es gibt ja bereits ein Bekenntnis der Branche zu nachhaltigen Lösungen. Je mehr Zeit vergeht und der Klimawandel voranschreitet, desto größer müssen die Anstrengungen sein. Dafür müssen wir gemeinsam an einem Strang ziehen – notfalls eben auch mit einer strengen Regulierung.


Vielen Dank!

Teile diesen Inhalt:

Artikel kommentieren


* Pflichtfeld