Befragung von Verbraucherschutzministerin Lambrecht zur Thomas Cook Insolvenz

Am 11. Dezember 2019 habe ich in der Regierungsbefragung im Deutschen Bundestag die Bundesministerin für Justiz und Verbraucherschutz, Christine Lambrecht, zur Thomas Cook Insolvenz befragt und zu den gerade in der Presse bekannt gewordenen Ankündigungen, dass die Bundesregierung die von der Insolvenz Betroffenen aus Steuergeldern entschädigen wird.

Die Ministerin hat in ihrer Antwort behauptet, dass das Nichtausreichen der Insolvenzsicherung „nicht vorhersehbar“ war. Das ist nicht richtig. Schon vor der Thomas Cook Insolvenz wurde das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zur Anpassung aufgefordert – zum Beispiel vom Bundesrat im Jahr 2016. Auch wir haben die Bundesregierung in einem Antrag aufgefordert hier nachzubessern. Bizarrerweise wurde dieser Antrag noch in den Tagen der Thomas Cook Insolvenz von der Koalition abgelehnt. Hier gibt es mehr Infos zum Thema. Und auch die Aussage der Ministerin, dass die Bundesregierung sich „für die Zukunft anders aufstellen“ werde, ist für mich ein eindeutiges Eingeständnis, dass die Bundesregierung hier Fehler verschuldet hat und eine angemessene Lösung so lange verschleppt bzw. blockiert hat, bis es zu spät war.

Zu der Ankündigung der Bundesregierung, die Entschädigung der Betroffenen nun zu übernehmen, wo die Insolvenzversicherung nicht greift, habe ich mich mit meinem Kollegen Markus Tressel zusammen in einer Pressemitteilung geäußert.

Hier ist der Wortwechsel zwischen der Ministerin und mir im Rahmen der Regierungsbefragung am 11. Dezember im Wortlaut:

Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Ministerin, Sie haben darauf hingewiesen, dass es keine eindeutige Haltung dazu gab, wie hoch die Versicherungssumme sein sollte, um den Insolvenzschaden in so einem Fall wie jetzt bei Thomas Cook auch wirklich tragen zu können. Es gab aber diverse Untersuchungen zum Reisevolumen. Danach sind die Kosten erheblich gestiegen, und zwar innerhalb von 14 Jahren von 19 Milliarden Euro auf 27 Milliarden Euro. Was sagen Sie den Steuerzahlern auf die Frage, wer die Verantwortung dafür trägt? Wir haben Nachbesserungen gefordert. Unseren Antrag dazu haben Sie abgelehnt, gerade in den Tagen, in denen die Insolvenz bekannt wurde.

Christine Lambrecht, Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz:

Die Umsetzung der EU-Pauschalreiserichtlinie in nationales Recht erfolgte in Deutschland durch eine Versicherungslösung. Das heißt, diejenigen, die solche Pauschalreisen anbieten, können sich gegen eine Insolvenz absichern. Die Versicherungssumme hat eine Obergrenze von 110 Millionen Euro. Diese Summe ist damals gewählt worden, weil es bis zu diesem Zeitpunkt keine Insolvenz gab, die mehr als 30 Millionen Euro umfasst hat. Daraus ergab sich die Festlegung: Auch bei mehreren solcher Insolvenzen können wir mit 110 Millionen Euro einen vernünftigen Schutz gewährleisten. – Das ist der Hintergrund gewesen. Darum ist es damals zu dieser Summe von 110 Millionen Euro gekommen. Ich sage Ihnen: Das, was bei Thomas Cook passiert ist, halte ich für eine unvorhergesehene Entwicklung; denn das, was bei Thomas Cook passiert ist, war nicht abzusehen. Noch im August wurde seitens des Unternehmens dazu aufgefordert, zu buchen; es sei alles okay. Das zeigt, dass das keineswegs absehbar war. Wir werden für die Zukunft allerdings vor dem Hintergrund des Wissens, das wir heute haben – nachher ist man immer schlauer –, eine Lösung suchen, die das anders abdeckt, damit wir diese Rechtssicherheit gewährleisten können, ohne dass der Steuerzahler gegebenenfalls in Anspruch genommen wird.

Ich will aber auch für diesen Fall sagen, dass wir sehr wohl alle Möglichkeiten ausschöpfen. Dazu gehört die Frage: Sind in den 110 Millionen Euro die 60 Millionen Euro für die Rückholung enthalten? Wir sagen Nein. Das kann man aus der gesamten Entwicklung des Gesetzgebungsverfahrens und auch aus der Begründung so lesen. Das vertreten wir. Deswegen sind das aus unserer Sicht keine 110 Millionen Euro, sondern 170 Millionen Euro. Damit würde sich dann auch die Quote des Kundengeldabsicherers erhöhen. Es stellt sich eine weitere Frage. Das neue Reisejahr hat am 1. November begonnen. Reisen auch für dieses Reise jahr sind jetzt mit in dieser Masse. Erhöht sich dadurch auch die Summe?

Es ist so ein spannendes und so ein umfangreiches Thema.

Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich möchte Ihnen widersprechen, Frau Ministerin. Es gab Hinweise. Wir haben das in unserem Antrag deutlich gemacht. Es wurde immer eine Versicherungssumme in Höhe von 300 bis 400 Millionen Euro geschätzt. Deshalb noch mal die Frage: Wer trägt die Verantwortung dafür, dass diese Nachbesserung nicht gemacht wurde? Wie hoch wird der Schaden sein, den Sie tatsächlich ausgleichen müssen?

Christine Lambrecht, Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz:

Ich kann Ihnen die Summe nicht nennen. Denn, wie gesagt, es sind zahlreiche Rechtsfragen offen, die sich auf die Schadenssumme auswirken, also 110 Millionen oder 170 Millionen Euro. Letzteres ist eine ganz andere Hausnummer. Es geht um die Frage des neuen Versicherungsjahres. Auch da rechnen wir mit 20, 30 Millionen Euro. Es stellt sich auch noch die Frage, ob sich Zahlungen an die britische Mutter in irgendeiner Weise auswirken. Solche rechtlichen Fragen müssen geklärt werden. Kunden sind auch verpflichtet, schadensmindernd zu handeln, zum Beispiel das Chargeback-Verfahren durchzuführen, wenn sie über Kreditkarte gebucht haben, und sich das Geld auf diese Weise zurückzuholen. Deswegen ist die Schadenssumme momentan nicht zu benennen. Wir werden alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, damit so wenig wie möglich beim Steuerzahler hängen bleibt. Ich sage es noch mal: Diese 110 Millionen Euro sind damals zustande gekommen, weil man keine einzige Insolvenz über 30 Millionen Euro hatte und demnach mit 110 Millionen Euro einen ausreichenden Rahmen gesehen hat. Für die Zukunft werden wir uns anders aufstellen.

Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, dass ich die Rückfrage noch stellen darf. – Der Wissenschaftliche Dienst hat dazu ein Gutachten erstellt und hat darauf hingewiesen und es als problematisch eingestuft, dass seit 1993 keine Anpassung der Versicherungssumme erfolgt ist, obwohl der Reisemarkt sehr stark gewachsen ist, es eine Inflation gegeben hat usw. In das gleiche Horn bläst übrigens auch die Stellungnahme des Bundesrates aus dem Jahr 2016, in der ebenfalls die festgelegte Höchstgrenze als zu niedrig bemessen angesehen wurde. Deshalb meine Frage: Wer trägt dafür in der Bundesregierung die Verantwortung, und wer vermittelt das den Steuerzahlern?

Christine Lambrecht, Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz:

Ich mache es gerne noch mal deutlich. Bei der Abwägung, welche Versicherungssumme man wählt, sind damals die Insolvenzen betrachtet worden, die es nach damals aktuellem Stand bislang gab. Das heißt, es ging nicht darum, den Reisemarkt einzuschätzen, sondern darum: Welche Insolvenzen gab es? – Wenn der höchste Schadensfall bei einer Insolvenz 30 Millionen Euro betrug und man dann sagt: „110 Millionen Euro halten wir für entsprechend vertretbar“, macht das deutlich, dass sehr wohl die gesamte Entwicklung auf dem Reisemarkt berücksichtigt wurde. Wenn Sie das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes in Gänze zitieren würden, dann müssten Sie auch darstellen, dass der Wissenschaftliche Dienst keineswegs von einer Staatshaftung, einer Verantwortung des Gesetzgebers ausgeht, sondern ebenfalls davon ausgeht, dass eine Staatshaftung hier nicht auf der Hand liegt.

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