Meinungsvielfalt im Internet sichern – Entwurf des Medienstaatsvertrages muss grundlegend überarbeitet werden

Zu dem Gutachten von Prof. Dr. Dörr im Auftrag der Medienanstalten erklärt Tabea Rößner, Sprecherin für Netzpolitik von der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

„Im Vorfeld und im Nachklang der Europawahl wurde ausgedehnt über das Rezo-Video und die Meinungsmacht von Influencern diskutiert. Die Debatte geht jedoch am Kern des Problems vorbei: der potenziellen Meinungsmacht von Intermediären und deren unzureichender Regulierung. Das lesenswerte Gutachten von Prof. Dr. Dörr im Auftrag der Medienanstalten analysiert die potenzielle Meinungsmacht von Intermediären. Durch die Gegenüberstellung zum verfassungsrechtlichen Auftrag zur Meinungsvielfaltsicherung stellt es der aktuellen fernsehzentrierten Regulierung ein schlechtes Zeugnis aus. Daraus werden politisch sinnvolle und verfassungsrechtlich gebotene konkrete Forderungen für Änderungen am vorgelegten Medienstaatsvertag aufgeführt. Die Länder müssen jetzt die Chance nutzen und die berechtigten Forderungen aufgreifen, um damit wirksam der Gefahr der Meinungsmacht von Intermediären zu begegnen.

Durch die zunehmende Medienkonvergenz nimmt die Bedeutung von Intermediären, also von Sozialen Netzwerken, Videoplattformen, Instant Messengern und Suchmaschinen, für die Meinungsbildung in Deutschland stetig zu. Als Vorzeichen der noch zunehmenden Entwicklung hebt das Gutachten den Generationsunterschied in der Mediennutzung hervor. Nach dem Vielfaltsbericht der Medienanstalten aus dem Jahr 2018 nutzen 67,8 Prozent aus der Altersgruppe der 14-29-Jährigen mindestens einen Intermediär an einem Durchschnittstag zur Informationsgewinnung. Diese Entwicklung erlangt durch die Marktkonzentration von Intermediären zunehmende Brisanz: Allein Google bearbeitet 90 Prozent aller deutschen Suchanfragen, und jeder Fünfte (21,6 Prozent) nutzt allein YouTube in dieser Altersgruppe an einem Durchschnittstag. Die Meinungsmacht von Intermediären entsteht zudem dadurch, dass sie nicht „neutral“ die Inhalte zwischen Sender und Empfänger vermitteln, sondern durch Algorithmen deren Aggregation, Selektion und Präsentation bestimmen. Dahinter liegt immer eine wertende Entscheidung, die von unterschiedlichen Interessen geleitet sein kann.

Neben diesem sachlichen Befund des Status Quo ordnet das Gutachten dies in den verfassungsrechtlichen Rahmen des Grundgesetzes ein. Eine Demokratie ist von gut informierten Wahlberechtigten abhängig. Daher hat der Staat, in diesem Fall die Länder, durch Staatsverträge die Aufgabe, regulatorische Maßnahmen zur Sicherung des Meinungspluralismus aufzustellen.

Der Vergleich dieser Anforderungen mit der aktuellen Rechtslage kommt jedoch zu einem vernichtenden Urteil: Die Regelungen zur Meinungsvielfaltssicherung im Rundfunkstaatsvertrag sind zu fernsehzentriert und hinken somit der Entwicklung der Meinungsmacht der Intermediäre meilenweit hinterher.

Auch der aktuelle Entwurf des Medienstaatsvertrags ist demnach unzureichend. Vielmehr bedarf es vor allem:

1.   eines zeitgemäßen, medienübergreifenden Medienkonzentrationsrechts

Das derzeitige Medienkonzentrationsrecht im Rundfunkstaatsvertrag ist in der analogen Welt verhaftet. Zudem beugt es zu wenig gegen Medienkonzentration über verschiedene Mediengattungen vor. Dabei ist das Medienkonzentrationsrecht zentral, um eine potenzielle Meinungsmacht zu verhindern.

2.   einer Ausrichtung der Regulierung anhand der Meinungsbildungsrelevanz

(Erweiterung des Anwendungsbereichs, des Diskriminierungsverbots und des Transparenzgebots auf Informationsintermediäre)

3.   eine Stärkung des Telemedienauftrags des öffentlich rechtlichen Rundfunks

4.   Vorschriften zur effektiven Durchsetzung der Meinungsvielfaltssicherung

Der Medienstaatsvertrag sieht keine effektiven Durchsetzungsmechanismen vor. Ohne solche besteht jedoch die Gefahr, dass die Maßnahmen leerlaufen.

Der Entwurf des Medienstaatsvertrags muss dementsprechend nachgebessert werden. Die Länder dürfen die Entwicklungen nicht weiter verschlafen. Es darf nicht sein, dass sie erst auf einen Weckruf aus Karlsruhe warten.“

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Das Gutachten finden sie hier.

Eine kürzere Version als Blogpost von Herrn Prof. Dörr finden sie hier.

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