Anspruch auf Mitsprache

Die zunehmende Bedeutung der Medienpolitik

Ist die föderale Medienregulierung angesichts der Transformation in die digitale Welt heute noch zeitgemäß? Diese Frage beleuchten Lutz Hachmeister und Thomas Vesting in ihrem Artikel „Das Elend der deutschen Medienpolitik“ in der Fundkkorrespondenz. Sie haben damit den Stein zu einer Debatte erneut ins Rollen gebracht, die zwar seit Jahren in immer wieder neuer Form geführt wird und überfällig ist, aber auch stets wieder ins Stocken gerät und letztlich keine Veränderungen nach sich zieht. Der Wissenschaftler und Autor Dr. Leonard Novy hat Recht, wenn er in seinem Beitrag schreibt: Wer etwas verändern möchte, muss erst einmal den status quo beschreiben. Das darf wehtun und ist keine Majestätsbeleidigung. Politik würde sich überdies letztlich überflüssig machen, wenn sie neben der Kritik am Bestehenden auch gleich die fertigen Lösungskonzepte einfordert – wobei der Gedanke des evidence-informed policy making, also einer auf wissenschaftlichem Wissen basierenden Politik,  natürlich seinen Charme hat. Hier müsste allerdings sichergestellt werden, dass die Forschung a) unabhängig ist, gerade in Zeiten, in denen „Drittmittel“ das Mantra der Hochschulpolitik zu sein scheinen, und b) der Wissenstransfer organisiert wird. Möglicherweise hapert es auch jetzt schon nicht an guter Forschung, sondern am gegenseitigen Austausch bzw. der Umsetzung vorhandener Erkenntnisse. Mit Blick auf die Netzpolitik gilt wohl auch, dass viele wissen (oder zumindest meinen, zu wissen), wie es nicht geht, aber kaum jemand eine Ahnung davon hat, wie Regulierung oder besser „Gestaltung“ des Verbreitungsweges Internet funktionieren könnte.
Vielleicht ist eine kleine Lawine ins Rollen gekommen, so dass Hachmeister und Vesting tatsächlich mit ihrer „Generalabrechnung“ Impulsgeber gewesen sind, wie es Marc Jan Eumann, Medienpolitiker der SPD, gefordert hat. Am Ende aber, dies vorweg, werden nicht Worte sondern Taten zählen. Die Vorsitzende der Medienkommission der Landesanstalt für Medien NRW, Dr. Frauke Gerlach, hat aufgezeigt, dass die Veränderungsresistenz in einem Mehrebenensystem wie der Medienpolitik hoch ist. Die Aufgabe, die sich uns stellt, ist also eine große Herausforderung. Dies gilt auch mit Blick auf die „Apparate“, ob nun in Staatskanzleien, Ministerien oder anderen Institutionen.

In mehreren Aufsätzen haben sich in der Funkkorrespondenz, der das Lob gebührt, für die ausgelöste Debatte den Boden bereitet zu haben, Experten zu unterschiedlichsten Aspekten der Medienpolitik geäußert, Vorschläge unterbreitet und Ideen dafür geliefert, wohin die Reise gehen könnte. Da wurde über die Zukunft der Medienaufsicht ebenso debattiert, wie über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, das weite Feld des Themas Internet, die Bedeutung der Produzenten und die künftige Finanzierung von (Qualitäts-)Journalismus. Die Beiträge zusammenfassend lässt sich wohl folgender kleinster gemeinsamer Nenner kondensieren, wobei natürlich jede(r) der Autorinnen und Autoren eigene Akzente setzt:

1.    Für eine Neuordnung der Medienpolitik sind dicke Bretter zu bohren.
2.    Vielfaltsicherung muss auch weiterhin das Ziel der Medienpolitik sein.
3.    Wissenschaft als Politikberatung wäre ein Weg, Entscheidungen nicht an tagesaktuellen „Stimmungen“ auszurichten sondern zu einer strategischen (langfristigen) Politik zu gelangen.
4.    Medien- und Netzaufsicht müssen zusammengeführt werden (Holznagel/Schumacher sind hier etwas skeptischer).
5.    Dazu muss es eine zentrale Einrichtung geben – Norbert Schneider schlägt zwei Säulen vor – mit Personal, das Medien- und Netzkompetenz verbindet. Diese neue Medienaufsicht muss mindestens auf nationaler Ebene angesiedelt sein, eine enge Zusammenarbeit mit der europäischen Ebene ist notwendig. Die Mehrzahl der Autoren will die Landesmedienanstalten parallel zu einer neuen Einrichtung weiterführen (insbesondere Marc-Jan Eumann und Siegfried Schneider).
6.    Stiftungsfinanzierter Journalismus ist ein Weg, Qualität zu sichern und „vitalisierend“ (Novy) auf das System einzuwirken.
7.    Ein Instrument zur Sicherung von Vielfalt kann auch in der Stärkung der Produzentenszene liegen, eventuell nach britischen Vorbild (Hewlett). Sollte dieser Weg beschritten werden, sollte meines Erachtens allerdings tatsächlich die Stärkung von Vielfalt und nicht die Schwächung von Gewerkschaften á la Thatcher das Ziel sein.
8.    Stärkere Kooperationen zwischen den verschiedenen Medien (Print, Multimedia) und Systemen (öffentlich-rechtlich/privat) können ebenfalls dazu beitragen, Vielfalt und Qualität zu sichern.

Einige dieser Punkte haben auch die Medienpolitikerinnen und –politiker von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN seit Jahren gefordert. Im Zentrum einer grünen Medienpolitik steht nicht allein die Frage der Vielfalts- und Qualitätssicherung, sondern auch die Frage des Zugangs, der Auffindbarkeit journalistischer Inhalte, der Unabhängigkeit und der Staatsferne.

Dass Medienpolitik das Bohren dicker Bretter bedeutet, sieht man allein daran, dass die Grünen schon 2008 einen Länderratsbeschluss gefasst haben, der kaum als umgesetzt gelten dürfte und bereits viele Ideen der in der FK geführten Debatte enthält. Was die Umsetzung angeht, die vor allem durch die Staatskanzleien erfolgt, müsste stärker auf die parlamentarische Ebene und damit aus den Hinterzimmern in die Öffentlichkeit verlagert werden. Das ist anspruchsvoll, keine Frage, bei 16 Bundesländern. Aber wir haben in den vergangenen Jahren gesehen, dass ein Anspruch auf Mitsprache bei der Gestaltung besteht und Ergebnisse nicht einfach mehr nur hingenommen werden.

Der Erste Bürgermeister der Stadt Hamburg, Olaf Scholz, der sich seit kurzem medienpolitisch engagiert, betont die gute Zusammenarbeit der Medienregulierung auf Länderebene mit der immer wichtiger werdenden europäischen Ebene. Man darf davon ausgehen, dass er damit die Beibehaltung der Landesmedienanstalten anstrebt, ähnlich wie auch Marc-Jan Eumann, der zwar eine Medienanstalt der Länder schaffen, die Landesmedienanstalten aber erhalten will. Dazu sei angemerkt, dass das Wirken der MA HSH neuerdings an das erinnert, was man sonst von der BLM unter ihrem Präsidenten Wolf-Dieter Ring kannte. Auch deshalb kann das Modell der Landesmedienanstalten aus meiner Sicht nur ein vorübergehendes sein. Mittelfristig plädiere ich für eine umfassendere Lösung: Die Schaffung einer zentralen, bundesweiten Aufsicht, vor allem zur Lizenzvergabe. In den Ländern sollten nur noch Regionalstellen sein, die für den lokalen Bürgerrundfunk und die Medienkompetenzförderung zuständig sind.

Medienpolitik als Standortpolitik zu betreiben, ist schädlich. Entweder kostet es viel und bringt wenig, oder aber es läuft dem Ziel, Vielfalt und Qualität zu sichern, entgegen. Um nur vier Beispiele zu nennen: In Oberhausen ging NRW mit dem Versuch, ein Trickfilmstudio zu initiieren, grandios baden. In Bayern führte die Medien(nicht)aufsicht zu Programmhighlights wie 9Live, ein Sender mit einem tendenziell betrügerischen Geschäftsmodell, der nach Gründung der ZAK und Inkrafttreten der Gewinnspielsatzung mit größeren Problemen konfrontiert war und August 2011 eingestellt wurde. Die von NRW angestrebten Änderungen am Rundfunkänderungsstaatsvertrag können getrost auch als Lex RTL interpretiert werden. Jedenfalls ist es erstaunlich, dass die Regeln zu Marktanteilen von Sendern gerade dann geändert werden sollen, wenn sie zum ersten Mal überhaupt relevant zu werden drohen. Mehr Lokalfensterprogramme bei RTL sind im Sinne der Vielfalt sicherlich sinnvoll, aber man muss schon fragen, wie weit zu gehen man bereit ist. Die Vergabe der Drittsendezeiten für Sat.1 und RTL sind ebenfalls kein gutes Beispiel für interessensfreie Medienpolitik auf Länderebene. Aktuelles Beispiel ist die Auseinandersetzung von ProSiebenSat.1 mit der Landeszentrale für Medien und Kommunikation Rheinland-Pfalz – wobei die Fensterprogramme bei Sat.1 qualitativ durchaus mit dem Gegenangebot des öffentlich-rechtlichen Fernsehens mithalten können. Jedenfalls gilt dies für Rheinland-Pfalz.

Medienpolitik ist Gesellschaftspolitik und Demokratiesicherungspolitik, Standortpolitik ist dagegen Interessenspolitik. Beides verträgt sich sehr schlecht miteinander. Man sollte hellhörig werden, wenn Staatskanzleien im Bereich der Medienpolitik vom „Wettbewerb der Länder“ schwärmen und eine Rhetorik anwenden, die man sonst nur von der FDP kennt.

Um im immer unübersichtlicheren Feld der Medienpolitik ein „geordnetes Verfahren“ sicherzustellen, sollte ein Medien- und Kommunikationsrat eingesetzt werden. Die Regulierung liegt in Deutschland je nach Medium bei unterschiedlichen Instanzen, mal im Bund, mal in den Ländern. Um keine neuen Institutionen zu schaffen, den regulierten Unternehmen und Organisationen aber eine Anlaufstelle zu bieten, wäre das eine Möglichkeit. Diese sollte mit Vertreterinnen und Vertretern einer (noch zu gründenden) Medienanstalt der Länder und den für den Bereich Information und Kommunikation zuständigen Bundesbehörden zusammengesetzt sein. Im erwähnten grünen Länderratsbeschluss heißt es dazu: „Der Medien- und Kommunikationsrat soll bereits bestehende Institutionen integrieren, nicht aber ersetzen. Seine grundsätzliche Funktion besteht in der Koordinierung politischer Planungs- und Gesetzgebungsprozesse sowie in der Abstimmung und Harmonisierung von administrativen Verfahrensabläufen und Entscheidungen. Ein Medien- und Kommunikationsrat soll eine Plattform für einen übergreifenden gesellschaftlichen Diskurs und für wissenschaftliche Politikberatung sein.“

Ein solcher Rat müsste sich dabei aus drei Ebenen zusammensetzen:

•    Die erste Ebene würde die auch von Novy geforderte Vernetzung mit der Wissenschaft sicherstellen und zudem gesellschaftliche Gruppen einbeziehen. Auch die Vergabe von Gütesiegeln könnte auf dieser Ebene erfolgen. Ein ähnliches Modell schwebt wohl auch Norbert Schneider vor und man darf unterstellen, dass er bei seinen Ausführungen das Grimme-Institut mit im Blick hat, das bekanntlich schon länger mit dem Gedanken spielt, eine Art „Stiftung Medientest“ zu werden. Ein Ansatz, den ich begrüße.

•    Die zweite Ebene wäre eine administrative mit zwei Kammern. In der einen könnte die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) mit ihren Aufgaben und Zuständigkeiten aufgehen. In der anderen sollte unter Einbeziehung unterschiedlicher medienpolitischer Institutionen (Bundesnetzagentur, Kartellamt, Monopolkommission) eine Koordination und Abstimmung von administrativen Verfahrensabläufen erfolgen.

•    Die dritte Ebene soll die Koordination politischer Planungs- und Gesetzgebungsprozesse erleichtern. Diese politische Ebene sollte sich paritätisch aus Vertreterinnen und Vertretern der Exekutive und Legislative von Bund und Ländern zusammensetzen. Angestrebt wird eine Einbeziehung der Rundfunkreferentinnen und -referenten der Länder und Leiterinnen und Leiter der Staatskanzleien. Die Einbeziehung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in solche Strukturen darf grundsätzlich kein Tabu darstellen, muss aber im Einklang mit der Selbstverwaltung erfolgen. Es muss sichergestellt sein, dass diese gemeinsame Koordinierung lediglich Bereiche betrifft, die die besondere Stellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht gefährden und bei denen nur Standards betroffen sind, die gleichermaßen für den privaten und öffentlich-rechtlichen  Rundfunk gelten, also z.B. beim Datenschutz- oder Kinder- und Jugendmedienschutz. Hier bin ich durchaus der Ansicht, dass dieselben Maßstäbe für Private und Öffentlich-Rechtliche gelten müssten – übrigens bis hin zur Frage eventueller Bußgelder, auch wenn abschreckende Beispiele wie Ungarn einen bei diesem Thema eher zur Vorsicht mahnen. Der Gedanke einer gemeinsamen Aufsicht in bestimmten Fragen bedeutet auch nicht, dass es für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht auch ein eigenes Aufsichtsgremium geben sollte. In Großbritannien existiert ja neben der oft gerühmten Ofcom zusätzlich der BBC Trust. Was die vorgeschlagene dritte Ebene angeht muss klar sein, dass die Unabhängigkeit der KEF außer Frage steht.

Olaf Scholz hat sich in den vergangenen Wochen mehrfach für „smarte Regulierung“ ausgesprochen, u. a. beim Publishers Summit des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ). Auch ich bin der Ansicht, dass die Medienpolitik sich tatsächlich auf das Wesentliche – Vielfalt, Qualität und Zugang – beschränken sollte. Regulierungszurückhaltung ist der erste Schritt zur Staatsferne. Und mit Blick auf die privaten Anbieter kann es durchaus helfen, diese in einmal verabredeten Grenzen „machen zu lassen“.

Bei allem Verständnis für den VDZ und seine Belange muss auch festgehalten werden: Nicht allein die öffentlich-rechtlichen Apps sind die Konkurrenz der Verlage. Sondern die Verlage sind es – wie gehabt und wie es gut ist – vor allem untereinander mit ihren mobilen Webseiten. Mit dem Unterschied, dass Informationen heute im Netz überall und zu jeder Zeit kostenlos zu haben sind und neue Player hinzugekommen sind, die um die Aufmerksamkeit des Publikums und damit die Werbebudgets buhlen. In diesem Zusammenhang sei nur am Rande angemerkt, dass ich auch wenig Sinn in dem vorgelegten Leistungsschutzrecht für Presseverlage sehe, jedenfalls nicht, so lange dieses Vielfalt einschränkt und vorrangig den Großverlagen und nicht den kleinen oder den Urhebern dient. Damit kann die Medienvielfalt im Netz durchaus in eine größere Schieflage geraten. Was die nun beschlossenen Änderungen bei der Pressefusionskontrolle angeht, ist meine Befürchtung, dass dieses zwar den Großverlagen nutzt, nicht aber der Vielfalt. Die „Zeitungskrise“ muss als Argument für Expansionen herhalten, die aus guten Gründen lange eingeschränkt waren und nun gelockert werden. Wenn die fünf größten Verlagsgruppen im Land einen Marktanteil von rund 44 Prozent aufweisen, sollte uns dies beunruhigen. Wenn man Vielfalt und Journalismus retten will, kann dies aber nicht gelingen, indem man kleine Verlage in die Hände von großen gibt.

Als Wettbewerber im Netz brauchen wir auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Zu diesem Schluss kam auch der kürzlich vom Büro für Technikfolgenabschätzung vorgelegte Bericht. So sei das Internet zunehmend das Leitmedium im Zugang zu politisch und meinungsrelevanten Informationen. Die gedruckte Zeitung verliere an Relevanz, auch wenn ich davon überzeugt bin, dass die von den Printmedien verbreiteten Informationen, Einschätzungen und Meinungen natürlich noch immer die Rolle eines Leitmediums haben. Nur werden diese eben nicht mehr nur über die Zeitung in Papierformat genutzt, sondern online, über soziale Netzwerke oder sonstige Dienste gelesen, geteilt und weitergegeben. Aber die Seiten von Spiegel-Online und BILD übertreffen in der Reichweite die Print-Angebote dieser Publikationen. Spiegel-Online bringt immer wieder meinungsstarke Autorenbeiträge und stößt damit sehr häufig Themenkarrieren an. Das kann man fast jeden Tag beobachten.

Der Bericht zeigt auch auf, dass nur ein Bruchteil der Inhalte im Internet tatsächlich wahrgenommen werde. In Deutschland sei zum Beispiel „T-Online“ die beliebteste Website, viele Nutzerinnen und Nutzer blieben auf dieser Seite – auch um Nachrichten zu lesen. Damit ist hier ein Infrastrukturanbieter auch in diesem Bereich ein Inhalteanbieter mit großer Marktmacht geworden. Das ist eine Form der vertikalen Medienkonzentration. Insofern merkt der Bericht aus gutem Grund an, dass die Regulierung hier überprüft werden sollte.

Ein neues Modell der Medienkonzentrationskontrolle müsse weitere Faktoren einbeziehen wie die Online-Nutzung. Der Bericht schlägt sogar vor, dass mit einbezogen werden soll, dass die von Nutzerinnen und Nutzern deutlich höher eingeschätzte Informationskompetenz der öffentlich-rechtlichen einbezogen werden solle. Wie ein solches Modell operationalisiert werden kann, ist sicherlich eine Frage, auf die eine Antwort zu finden ist. Aber ich halte diesen Aspekt für wichtig und richtig.

Ohne die öffentlich-rechtlichen würde der inhaltliche Wettbewerb im Netz also eingeschränkt. Denn – trotz weltweiter Verfügbarkeit – zeichnet der Medienmarkt sich durch Monopole und Oligopole aus. Ich halte den Bestand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Internet daher für wichtig und richtig, vor allem auch, um alle Zielgruppen zu erreichen, denn jüngere Zuschauer haben ein anderes, internetbasiertes Medienverhalten und sind nur dort zu erreichen. Vielen, die aufgrund eines gebühren- bzw. beitragsfinanzierten Journalismus von Wettbewerbsverzerrungen reden, wird man entgegenhalten müssen, dass sie anders als andere Unternehmen in ihrer ganzen Geschichte noch nie mit echtem Wettbewerb konfrontiert gewesen sind und sich daher offenbar an Monopolrenditen gewöhnt haben.

Einmischen müssen wir uns zum Beispiel auch da, wo Gate-Keeper wie Apple oder Googles Android mit geschlossenen Plattformen inzwischen oligopole Strukturen aufweisen oder wenn es um die Auffindbarkeit von Inhalten auf Plattformen geht. Berichte über eine mögliche Manipulation der Suchergebnisse durch Google müssen uns nicht nur hellhörig machen, sondern erfordern unser Handeln. In vielen Bereichen bedarf es auch einer internationalen Abstimmung, insbesondere auf  europäischer Ebene, die jedoch von den nationalen Regierungen getrieben (oder auch mal gebremst) werden muss. Einige Netzpolitiker fordern daher die Einrichtung eines Netzministeriums, in dem die Kompetenzen verschiedener Ebenen, also etwa des Wirtschafts-, Justiz- und Innenministeriums, zusammengefasst werden. Ich bezweifle, dass dies die Lösung ist. Letztlich muss sich jeder Politikbereich mit der Transformation ins Netz befassen. Mittelfristiges Ziel muss es sein, Internetorganisationen wie die ICANN zu demokratisieren. Es muss auch darum gehen, Standards möglichst international festzulegen, auch wenn das – realistisch betrachtet – kaum durchsetzbar ist.

Es stellen sich also drei Fragen, die die Medienpolitik angehen muss – und das betrifft zum Teil die Länderebene, zum Teil die Bundesebene, was erklärt, warum es ein langsamer Prozess ist:

1.    Müssen sich die Institutionen der Medienregulierung der Konvergenz der Medien anpassen. Ich würde sagen: ja. Sie müssten sich zumindest stärker abstimmen und koordinieren und eine Art „One-stop-shop“ bilden.
2.    Wie ist die Zuordnung neuer Medienangebote zu den etablierten Kategorien Rundfunk, Telemedien oder Telekommunikation in Zukunft vorzunehmen?
3.    Wie kann die Anbietervielfalt in der konvergenten Medienwelt garantiert werden.
Abstand nehmen sollte man vom Aktionismus und stattdessen die eigenen Grenzen erkennen. Die in verschiedenen Ländern aufgelegten Programme zur Förderung der Medienbranche laufen in vielen Bereichen den Trends schlicht hinterher und sind in ihrer Wirkung fraglich. Daher muss genau geprüft werden, ob eine Förderung zielgenau möglich ist und wie sie staatsfern organisiert werden kann. Stiftungsmodelle sind bereits erwähnt, andere diskutieren die Förderung der Journalistenausbildung. Entscheidend sind ebenso gute Universitäten, günstiger Wohn-  und Geschäftsraum sowie Unternehmensleuchttürme, die junge Talente und weitere Betriebe anziehen. Wir reden also von Bildungs-, Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik, die sich kaum am Reißbrett planen lassen. Notwendig ist dabei der weitere Ausbau des Breitbandnetzes, wobei, wie René Obermann im Spiegel richtigerweise betont hat, neben der Download-Geschwindigkeit vor allem auch der Upload, der so etwas wie Cloudcomputing überhaupt erst ermöglicht, in den Blick genommen werden muss. Daher gehören die Anstrengungen im Bereich des Breitbandausbaus meiner Ansicht nach zu einem wichtigen, den Zugang gewährleistenden Aspekt der Medienpolitik.

Eine weiterhin wichtige Aufgabe der Medienpolitik ist es, eine Art Controlling-Funktion einzunehmen und Recherchen zu ermöglichen. Die Berichterstattung um die Medaillenvorgaben des Innenministeriums zu den Olympischen Spielen 2012 hat gezeigt, dass wir im Bereich der Informationsfreiheit weiterhin Nachholbedarf haben. Daher ist es wichtig, das unter der rot-grünen Bundesregierung eingeführte Informationsfreiheitsgesetz weiterzuentwickeln und, falls noch nicht vorhanden, in den Ländern zu installieren. In der Praxis hat sich allerdings gezeigt, dass die einfachrechtliche Regelung von Ansprüchen auf Zugang zur Information allein nicht ausreicht, um Informationsansprüche der Bürgerinnen und Bürger wirksam werden zu lassen. Aus diesem Grund hat die Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Einfügung eines Informationszugangsgrundrechts in das Grundgesetz beantragt, wie es von den Informationsfreiheitsbeauftragten des Bundes und der Länder sowie aus der Wissenschaft und der organisierten Zivilgesellschaft heraus erhoben wurde. Denn Transparenz und Zugang der Bürgerinnen und Bürger zu Informationen sind notwendige Voraussetzungen für die Meinungs- und Willensbildung; sie sind notwendige Voraussetzungen für Partizipation, Teilhabe und Mitbestimmung in einem modernen, lebendigen, demokratischen Rechtsstaat. Und wenn, wie oft betont wird, der (Medien)Markt nicht mehr oder nur noch unzureichend in der Lage ist oder sein wird, seiner Aufgabe nachzukommen, Öffentlichkeit herzustellen, desto mehr muss Öffentlichkeit, wo es möglich ist, organisiert oder zumindest erleichtert werden. Nur so kann man dem Anspruch an mehr Transparenz gerecht werden und Voraussetzung für Partizipation schaffen.

Sinnvoll ist eine solche Transparenz aber vor allem, wenn auf der anderen Seite Journalistinnen und Journalisten stehen, die diese zu nutzen bereit sind, mit ihr verantwortungsbewusst umgehen und auch in der Lage sind, Dokumente und Sachverhalte richtig einzuordnen. Wenn jeder Referentenentwurf zu einem „Plan der Regierung“ hochstilisiert wird, wundert die mangelnde Bereitschaft zur Herausgabe vergleichsweise wenig. Transparenz muss auch ein Gebot an die Sender sein. Insofern plädiere ich für einen Produzentenbericht und die Veröffentlichung sämtlicher Rundfunkratsprotokolle. Und ich wundere mich, dass der Landesrechnungshof Hessen zwar qua Gesetz den Auftrag hat, auch die Degeto zu prüfen, ein entsprechender Bericht aber offenbar noch nicht einmal den Rundfunkratsmitgliedern des Hessischen Rundfunks vorlag, sprich denjenigen, die den Sender und seine Töchter überprüfen sollen. Ob diese wiederum danach verlangt haben, wie es ihre Aufgabe wäre, entzieht sich meiner Kenntnis.

Meine Forderung richtet sich aber auch an den Journalismus, der zur Selbstreflektion aufgerufen ist. Die schlimmste Art der scripted reality ist meines  Erachtens die verdeckte, wenn beispielsweise in Nachrichtensendungen auch öffentlich-rechtlicher Sender  vor der Recherche vorgegeben ist, wie O-Töne zu lauten haben. Dies hat die ehemalige Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Dortmund, Ina Holznagel dargelegt (http://www.newsroom.de/news/detail/$HVFRGQDLMSIM):  „Man wird angerufen, um eine bestimmte Rolle zu spielen, oder man darf nicht mitspielen.“  Tatsächlich erscheint auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen insbesondere in den dritten Programmen streckenweise als recherchefreie Zone. Bei so mancher Nachrichtensendung drängt sich der Eindruck eines Regierungs-TVs auf, als dass Themen jenseits des Boulevards in vielen Fällen erst dann aufgegriffen werden, wenn sich ein Minister dazu äußert. Andere gesellschaftliche Stimmen finden deutlich seltener statt oder werden im Sinne eines Fifty-Fifty-Journalismus lediglich für eine Gegenrede zum O-Ton gebeten. Noch schlimmer ist, dass einige Journalisten offenbar noch nicht einmal mehr in der Lage sind, ein Thema als solches zu erkennen, und das Agenda Setting damit komplett in die Hände Dritter legen – oft in die der Lokalzeitungen, deren morgendliche Themen abends nochmal im TV gezeigt werden. Und: Wer „Unterschichten-TV“ bei RTL II bemängelt, sollte sich auch den Heimat-Trash in den dritten Programmen ansehen.

Der Medienwissenschaftler Prof. Dr. Bernhard Pörksen hat zuletzt einige Hinweise auf den zunehmenden Hang der Journalisten zur Skandalisierung gegeben. Nikolaus Brender, der ehemalige ZDF-Chefredakteur, wiederum hat eine Entschleunigung des Journalismus eingefordert. Die nordrhein-westfälische Medienministerin Angelica Schwall-Düren sprach vor einiger Zeit davon, neben „rasenden Reportern“ müsse es mehr „rastende Reporter“ geben, die sich Zeit für Themen nehmen und diese aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten, wie es beispielsweise im Dokumentarfilm oft der Fall ist.

Auch diese Art des Journalismus kann die Politik nicht verordnen. Es ist nicht einmal sicher, dass der Markt diese Form des Journalismus bevorzugt – wahrscheinlich eher nicht. Aber die Medienpolitik darf mahnen, werben und – wo sie kann –  Rahmenbedingungen schaffen. Darunter fällt auch die neue Haushaltsabgabe für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Diese finanzielle Sicherheit für guten Journalismus einzusetzen, ist dann aber weitgehend Aufgabe der Häuser selbst. Insofern kann es auch sinnvoll sein, durchaus auch mal wieder eine Journalistin oder einen Journalisten zur Intendantin bzw. zum Intendanten zu wählen.

Die öffentlich-rechtlichen Sender sollten daher ihre Marktmacht auch nicht missbrauchen. So warne ich vor der Outsourcing-Mentalität in den Sendern, die nicht dazu führt, Qualität zu fördern und Kosten zu sparen. Zwei Beispiele: Die ZDF-Sendung „Volle Kanne“ wurde noch vor wenigen Jahren überwiegend durch freie Produzenten bestückt. Gleichzeitig sah sich die Sendung mit Schleichwerbevorwürfen konfrontiert. Inzwischen werden wieder deutlich mehr eigenproduzierte Beiträge gesendet, was der Qualität und Individualität genutzt hat und sogar Kosten spart. Im Hessischen Rundfunk produziert die Abteilung Fernsehspiel eigene Fernsehfilme, darunter den „Tatort“. Niemand wird leugnen können, dass die Ergebnisse im besten Sinne sehenswert sind.

Viele freie Produzenten tragen zu einem vielfältigen Programm bei. Daher darf der Raum für sie auch nicht zu eng werden. Allerdings muss auch die Produzentenfixierung hinterfragt werden, wenn gleichzeitig vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk gefordert wird, sich von seiner Quotenfixierung zu lösen. Die Produzenten unterliegen zwar weniger einem Quotendruck, aber einem Marktdruck, der nicht unbedingt qualitätsfördernd ist und zudem an die in den Firmen tätigen Journalistinnen und Journalisten weitergereicht wird. Materieller Druck ist aber vor allem in kreativen Berufen besonders schädlich.

Hier sind wir bei der Verantwortung der gesellschaftlich relevanten Gruppen angelangt, denen man leider gelegentliches Versagen attestieren muss. Denn der oben beschriebene Journalismus ist nicht einfach vom Himmel gefallen. Er ist auch Ausdruck davon, dass entscheidende Qualitätsdebatten entweder nicht ausreichend geführt oder aber keine Konsequenzen daraus gezogen wurden. Wer gesellschaftlich relevant sein will, kann sich aber nicht mehr darauf zurückziehen, nur darauf zu achten, dass die eigene Gruppe im Programm vorkommt. Der Blick muss über den eigenen Tellerrand hinausreichen. Er tut es aktuell kaum. Über die Repräsentanz gesellschaftlich relevanter Gruppen wird hoffentlich bald, wenn das Bundesverfassungsgericht sich mit der Normenkontrollklage zum ZDF-Staatsvertrag befasst, noch ausführlich zu diskutieren sein. Ein Blick auf den Altersdurchschnitt und den Frauenanteil in den Gremien reicht, um festzustellen, dass hier noch einiges im Argen liegt. So sind junge Menschen extrem unterrepräsentiert, und bei der Besetzung mit Frauen herrscht weiterhin ein Ungleichgewicht. Auch wenn in einzelnen Sendern Verbesserungen durch Quotenregelungen erzielt wurden, halte ich die Einführung einer Frauenquote von 50 Prozent und eine stärkere Beteiligung jüngerer Menschen für unabdingbar. Einige Landesrundfunkanstalten haben sich inzwischen für Migranten geöffnet, dennoch herrscht auch hier noch ein Mangel an Repräsentanz. Und die Überlegung, ob nicht auch die Beitragszahler explizit vertreten sein sollten, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Neben einer größtmöglichen Repräsentanz der Gesellschaft ist die staatsferne Besetzung eine wichtige Grundlage für Vertrauen und Glaubwürdigkeit in einen Sender. Zudem müssen die Gremienmitglieder, falls ihnen die Voraussetzungen fehlen, auch in die Lage versetzt werden, ihre Kontrollfunktion kompetent wahrzunehmen, d. h. sich fortzubilden und eigene Expertise einzuholen.

Was ein de facto Ausfall eines Aufsichtsgremiums bedeutet, haben wir bei der Bankenkrise oder aktuell beim Flughafen Berlin-Brandenburg erlebt. Das zuletzt aufflammende neue Selbstbewusstsein der Gremien sehe ich daher mit Interesse. Politik muss es fördern, etwa indem sie in den Landesmediengesetzen mehr (fachkundiges) Personal in den Gremienbüros und einen eigenen Etat für wissenschaftliche Untersuchungen sowie Programmbeobachtung durch unabhängige Dritte vorschreibt.

Es ist also nicht nur die Medienpolitik gefordert. Die Insolvenz der dapd, das Aus der Fincancial Times Deutschland und das wahrscheinliche Ende der Frankfurter Rundschau müssen ein Warnsignal für die ganze Gesellschaft sein. Der Markt hat es nicht geregelt, die vorhandenen Strukturen der Medienpolitik und Medienaufsicht haben es aber auch nicht. Ich stimme Ruprecht Polenz zu, dass wir auch eine neue Verantwortungskultur brauchen. Das betrifft private Anbieter ebenso wie öffentlich-rechtliche. Es betrifft aber auch die gesellschaftlich relevanten Gruppen, die sich stärker als bislang in der Medienpolitik engagieren müssen. Dazu gehört, dass zu beaufsichtigende Programm auch zu kennen. Dazu gehört auch, medienpolitische Debatten zu verfolgen, wie sie die Funkkorrespondenz ermöglicht.

Und noch etwas ist mir wichtig: Wenn schon über stiftungsfinanzierten Journalismus debattiert wird, dann sollte man vielleicht auch stiftungsfinanzierten Medienjournalismus ins Auge fassen. Eine kritische Selbstkontrolle findet immer weniger statt. Große Verlage ziehen sich aus diesem Bereich zunehmend zurück. Der Druck, der auf Journalisten lastet, sorgt verständlicherweise für eine große „Beißhemmung“ gegen die eigene Branche und Kollegen. Eine bessere Art der Selbstkontrolle als Kritik am System aus dem System heraus kann es aber eigentlich nicht geben. Wer Medienjournalismus stärkt, stärkt den Journalismus insgesamt. Wer den Medienjournalismus schwächt, schwächt das gesamte System. In diesem Zusammenhang stünde es auch ARD und ZDF gut zu Gesicht, statt „Bambi“ oder „Goldener Kamera“ die Verleihung des Grimme-Preises zur besten Sendezeit auszustrahlen. Ein Programm, das sich nicht mehr an Quoten orientiert, wird aus meiner Sicht mittelfristig dazu führen, dass die Quoten steigen. Ein Versuch wäre es wert. Wetten, dass…?

Der Beitrag erschien zuerst in der Funkkorrespondenz 5/62013. 

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