Rede zur allgemeinen Impfpflicht gegen Sars-CoV-2

Nicht viele Debatten werden so emotional aufreibend ausgefochten wie die zur allgemeinen Impfpflicht. Ich habe mich der Herausforderung gestellt, alle meine Argumente gegen eine Impfpflicht in nur 2 Minuten Redezeit wiederzugeben:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Uns eint das Ziel, die Pandemie zu bewältigen und die Überlastung des Gesundheitswesens abzuwenden. Ein guter Immunstatus trägt wesentlich dazu bei.

(Zuruf von der AfD: Haben Sie nicht zugehört? Das ist doch Blödsinn!)

Uneins sind wir uns, ob eine Impfpflicht das geeignete Instrument ist. Diese Differenz zieht sich durch die Gesellschaft, durch Familien, Wissenschaft und Parteien. Selten wurde so emotional diskutiert. Die Menschen, gerade die jungen, sehnen sich nach Normalität, und das ist nur verständlich.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Uns haben viele Menschen, auch zahlreiche geimpfte, geschrieben, dass sie eine Impfentscheidung selbst treffen wollen. Viele haben Ängste. Einige berichten von starken Impfreaktionen. Dem Paul-Ehrlich-Institut liegen nur gemeldete Nebenwirkungen und Impfschäden vor. Wie hoch die Dunkelziffer ist, wissen wir nicht. Wir sollten die Fälle systematisch erfassen. Damit würden wir die Bedenken ernst nehmen. Das schafft Vertrauen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Omikron hat die Lage grundlegend verändert. Wir wissen nicht, welchen Schutz die Impfung bei neuen Varianten bietet. Eine sterile Immunität, so führende Virologen, kann mit einer Impfpflicht nicht erreicht werden.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Wenn ich mir aber die Reden hier anhöre, fürchte ich, dass genau diese Erwartung geweckt wird. Das führt
doch zu weiterem Frust.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Nach heutigem Stand geht es bei der Impfung eher um den Eigen- als um den Fremdschutz. Daher ist eine Impfpflicht noch schwieriger zu rechtfertigen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Die Aufgabe des Staates ist nicht, die Menschen vor sich selbst zu schützen, sondern das Gesundheitssystem am Laufen zu halten.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Dr. Paula Piechotta [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] – Abg. Dr. Andrew Ullmann [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Wir brauchen niedrigschwellige Beratungsangebote, mehr Forschung, eine bessere Datenlage. Ein wirksamer, anhaltender Immunstatus nach einer durchgemachten Infektion sollte angesichts des erheblichen Grundrechtseingriffs anerkannt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der AfD und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin?

Nein, ich möchte keine Zwischenfragen beantworten. – Bei der Beurteilung der Immunität der Bevölkerung sollte auch die Zahl der durch eine Infektion immunisierten Menschen berücksichtigt werden.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt ist die Redezeit um.

Und wir brauchen weniger Alarmismus und mehr Sachlichkeit. Neue Erkenntnisse führen in der Wissenschaft dazu, Positionen zu revidieren. Daran sollten wir uns in der Politik ein Beispiel nehmen.

Vielen Dank!

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der AfD)

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    • Eine Südhessin

      Vielen Dank Frau Rößner,

      für Ihre sachliche, faktenbasierte Rede. Ich hatte aus Gründen des Umgangs Ihrer Parttei mit Corona, sie erstmals im Herbst nicht gewählt. Bitte helfen Sie, dass in Ihrer ganzen Partei wieder die Vernunft einzieht, dann komme auch ich als Wählerin tzurück!

    • Christel Kunert

      Ich kann der Rede nur in einem Punkt zustimmen: wir brauchen auf jeden Fall eine bessere Daten Basis, nicht nur was die Dunkelziffer bei Infektionen betrifft sondern auch z.B. die Datenlage zur Anzahl der Impfungen und zu Folgen wie Long COVID sind nicht ausreichend vorhanden. Ich bin selbst Mitglied der Grünen und bin sehr enttäuscht über die mangelnde Solidarität, die sich für mich aus dem Standpunkt von Tabea ergibt. Deutlich muss ich widersprechen, dass es sich mehr um Eigen- als um Fremdschutz bei der Impfung handelt. So zeigen Zum Beispiel wissenschaftliche Daten aus Dänemark, dass geimpfte andere weniger häufig anstecken. Des weiteren blockieren überwiegend ungeimpfte nicht nur Intensiv- sondern mittlerweile auch andere Betten auf der Normalstation, was auch nach Erfahrungen sowohl in meiner Familie als auch im Freundeskreis zu verspäteten und insbesondere für Krebspatienten danach auch lebensbedrohlichen Verzögerungen führt. Sich impfen lassen ist also auch ein Akt der Solidarität mit vulnerablen Gruppen.

  1. Helga S.

    Vielen Dank , Frau Rößner, für Ihre sachliche, gut argumentierte Rede!
    Als früher meist die Grünen Wählende habe ich mich mittlerweile von dieser Partei abgewandt, wobei die Haltung Ihrer ParteikollegInnen in der Corona-Politik maßgeblich dazu beigetragen hat. Menschen mit Zwangsmaßnahmen gegen ihren Willen zu „beglücken“ – und das ohne eine verläßliche Datengrundlage (!), scheint bei etlichen Grünen mittlerweile zum guten Ton zu gehören. Das ist sehr schade. Aber es ist beruhigend zu sehen, dass es auch bei den Grünen noch selbstständig denkende Menschen wie Sie gibt.

    Antworten
  2. Rotraud Kaufmann

    Vielen Dank, Frau Rößner, für Ihren mutigen Beitrag, dem ich voll und ganz zustimme! Es tut so gut, auch mal solche Stimmen im Bundestag zu hören.
    Mit besten Wünschen für Sie
    Rotraud Kaufmann

    Antworten
    • N.

      Ich bin ja sehr an differenziertem Austausch interessiert. Was genau ist denn „furchtbar“ an dieser nüchternen, sachlichen, an wissenschaftlichen Fakten orientierten Rede?

    • RD

      Ja, manchmal tut es weh, wenn jemand eine Wahrheit ausspricht. Andere wiederum sind froh darüber, dass es tatsächlich noch eine grüne Politikerin mit Sachverstand gibt.

    • Nadine D

      Liebe Frau Rößner, da es mir nicht gelingt, eine eigenständige Antwort zu verfassen (…), schließe ich mich der Einfachheit halber meiner Vorschreiberin an. Haben Sie herzlichen Dank für diese klare, differenzierte und dabei weise vorausschauende Rede. Stimmen wie Ihre, die Vernunft und wissenschaftliche Fakten betonen, anstatt durch Alarmismus und fehlende Sachlichkeit die gesellschaftliche Spaltung immer weiter vorantreiben, brauchen wir in dieser Zeit sehr dringend. Ich freue mich auf mehr und sende beste Grüßen Nadine D.

    • Marc Maurer

      Oha, eine sachliche und vernünftige Rede im deutschen Bundestag. Und das von einer „Grünen“. Dass ich das noch erleben durfte – vielen Dank. Liebe Grüße, Marc

    • Anne

      Liebe Frau Rößner,
      endlich!!!! wieder ein klar denkender Mensch bei den Grünen. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für diese sachliche Rede. Leider hatte ich mich als langjährige Grünen-Wählerin von Ihrer Partei wegen der Coronapolitik abgewandt. Sie machen mir Hoffnung. Bitte geben Sie nicht auf und kämpfen sie weiter gegen die Einführung dieser völlig sinnlosen Impfpflicht. Dies schreibt Ihnen eine besorgte Großmutter aus München, die sich sehr um das Wohl Ihrer Kinder und Enkel ebenso um das Wohl unserer Demokratie sorgt.
      Herzliche Grüße Anne

    • S

      Es ist traurig, dass Sie die Bedürfnisse von Schattenfamilien, Pflegerinnen und Pflegern, Lehrerinnen und Lehrern, Vorerkrankten, Erzieherinnen und Erziehern … ignorieren. Rößner, Wagenknecht, Kubicki, AFD – ich bin bei den Grünen ausgetreten und werde meine Stimme anderweitig vergeben. Wann präsentieren Sie uns Ihren Plan für o.g. Gruppen? Wenn man sieht, wer Sie für diese Entscheidung feiert!

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