Rede zu Digitalisierung, Digitalisierungsministerium und Offenen Standards am 18.10.2019

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte zeigt: Bei der Digitalisierung gibt es zahllose Baustellen. Die Bundesregierung könnte an jeder Stelle anfangen und eine nach der anderen abräumen. Aber was macht sie? Nichts. Ich verrate Ihnen etwas: Die Digitalisierung findet statt, ganz ohne Ihr Zutun. Dabei müssten Sie sie endlich gestalten; denn alles, was sich jetzt in eine falsche Richtung entwickelt, ist später umso schwerer zurückzuholen. Wir bieten Ihnen ein breites Portfolio an Handlungsoptionen. Sagen Sie einfach Danke und nehmen Sie es.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum Beispiel im Bereich offene Standards: welch große Chancen diefür alle bieten! Offene Standards sind leicht zugänglich, weiterentwickelbarund ermöglichen einen selbstbestimmten Umgang mit Geräten, Daten undInformationen. Sie befördern Innovation, stärken die Wahlfreiheit von Verbraucherinnenund Verbrauchern und erhöhen die Sicherheit in der digitalen Welt.

Unser Antrag zeigt Ihnen all diese Potenziale quer durch dieDigitalpolitik: von Interoperabilität bis zum Recht auf Reparatur. Ich begreifenicht, warum die Bundesregierung diesen wichtigen Treiber für einegemeinwohlorientierte Digitalisierung so sträflich vernachlässigt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Im Koalitionsvertrag – Kollegin Esken hat es angesprochen – ist einzweites Open-Data-Gesetz versprochen. Damit soll die Verwaltung alle Daten vonsich aus standardmäßig zur Verfügung stellen. Auf das Gesetz warten wir aberimmer noch. Gleichzeitig wird die Non-Profit-Organisation FragDenStaat mitVerweis auf das Urheberrecht verklagt, weil sie das Gutachten einerBundesbehörde zu Glyphosat öffentlich gemacht hat. Mir wäre das an Ihrer Stellepeinlich. Statt andere zu verklagen, sollten Sie erst einmal Ihre Versprecheneinlösen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Digitalisierung zu gestalten, ist mehr, als einen Podcast zumachen. Die Kanzlerin wirkt übrigens wie eine Märchenerzählerin, wenn siewundervolle Dinge wie den zweiten Aktionsplan zur Open Government Partnership verspricht,mit dem sich Bürgerinnen und Bürger über Regierung und Parlament besserinformieren können. Im wahren Leben sieht es aber ganz anders aus; denn dieUnion sperrt sich weiterhin, Ausschüsse öffentlich tagen zu lassen.

Unser Parlament ist das meistbesuchte der Welt – aber nur, was dieReichstagskuppel angeht. Bei Open Government und Open Data haben uns inzwischenviele Länder überholt, die nicht auf eine so lange demokratische Tradition wiewir zurückblicken können. Also bei mir weckt das Ehrgeiz, bei Ihnen offenbarnicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch bei freier Software stolpern wir ordentlich hinterher. Zwarstrapaziert die Bundesregierung – auch Saskia Esken hat das eben gesagt – beijeder Gelegenheit die digitale Souveränität, bei der eigenen Technik setzt sieaber nicht auf Open-Source-Lösungen. Erst kürzlich trudelte im Innenministeriumdas Ergebnis einer Studie ein, die aufzeigte, dass die Bundesregierung, dieMinisterien und die obersten Behörden in hohem Maße vom SoftwareanbieterMicrosoft abhängig sind.

(Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE): Hört! Hört!)

Ist es verantwortbar, auf einen einzigen Konzern derart angewiesenzu sein? Sie geben damit nicht nur die Kontrolle aus der Hand, es bremstInnovation, gefährdet die IT-Sicherheit und kann zudem extrem teuer werden. Waskönnte man nicht alles Sinnvolles mit dem Geld anstellen, das Sie Microsoft inden Rachen werfen!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Apropos IT-Sicherheit. Während wir in der Warteschleife für dasIT-Sicherheitsgesetz 2.0 versauern, weigert sich die Bundesregierung, echteVerschlüsselung für alle anzubieten. Stattdessen geht sie lieber noch ein paarSicherheitslücken auf dem Schwarzmarkt shoppen, damit sie die Bürgerinnen undBürger besser überwachen kann. Das darf doch wohl nicht sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN – Karsten Möring (CDU/CSU): Die Bundesregierung überwacht keine Bürgerinnen und Bürger! – Gegenruf des Abg. Manuel Höferlin (FDP): Sie lässt überwachen!)

Ich könnte ewig so weitermachen. Der Breitbandausbau ist einJammerspiel epischen Ausmaßes. Wie schön wäre es, wenn wir alle endlich auch imZug Richtung Wahlkreis wichtige Telefonate führen könnten, ohne dass dieVerbindung ständig abreißt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Manuel Höferlin (FDP): Das ist aber sehr weit hergeholt!)

Oder man könnte auch Digitalisierung und Klimaschutz zusammendenken.

Ich fasse zusammen: Über der Reichstagskuppel lacht heute die Sonne,über Deutschlands Digitalpolitik lacht die ganze Welt.

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Maik Beermann (CDU/CSU): Ein Raunen geht durch den Saal! – Weiterer Zuruf: Süß!)

– Es ist sexistisch, wenn man „süß“ zu einer Rednerin sagt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Einer der Gründe all dieser Baustellen ist die fehlendeKoordination. Die einzelnen Bemühungen verpuffen. Ein Digitalministerium istaber nicht zwingend der alleinige Heilsbringer, wie die FDP glaubt.Digitalministerium hin oder her – das ist eigentlich gar nicht die zentraleFrage. Es käme darauf an, wie man es aufstellt.

(Manuel Höferlin (FDP): Genau!)

Ich brauche nicht viel Fantasie, um mir ein schlecht geführtesDigitalministerium in einer Großen Koalition vorzustellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei sind mit der Staatsministerin für Digitalisierung und dem Digitalkabinett theoretisch eigentlich die Grundlagen für eine gute Koordinierung geschaffen. Aber die praktische Umsetzung ist schlecht. Da gebe ich gar nicht Doro Bär die Schuld. Sie hat wenig Kompetenzen, Budget oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und im Digitalkabinett sitzen zudem noch viele Digitalisierungsbremser.

Ich kann Ihnen jedenfalls versichern: Wir Grüne haben eine MengeIdeen und auch den Willen, die vielen Baustellen endlich anzupacken.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

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