Keynote von Tabea Rößner zur Veranstaltung „Der Auftrag ist Programm!“

Bei der gestrigen Veranstaltung „Der Auftrag ist Programm“, organisiert von der Grünen Vizepräsidentin des Bayerischen Landtags, Ulrike Gote, und dem Bundesverband Regie e.V., diskutierte Tabea Rößner im Bayerischen Landtag in München mit interessanten Gästen zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dabei waren Daniela Beaujean, VAUNET, Dr. Heinz Fischer-Heidlberger, Vorsitzender der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF), Dr. Susanne Pfab, ARD Generalsekretärin, Heike Raab, Staatskanzlei Rheinland-Pfalz sowie Klaus Raab, Journalist.

Tabea Rößners kurze Keynote als Eingangsstatement der überaus inspirierenden Debatte für alle nochmal hier zum nachlesen:

„Meine Damen und Herren, liebe Ulrike,

heute schaut ja alles nach Bayern. Ich muss euch aber enttäuschen: Das Land schaut nicht auf diese Veranstaltung. Das ist schade, denn ich halte es für absolut notwendig, dass wir überall und breit in der Gesellschaft die Debatte darüber führen, welchen öffentlich-rechtlichen Rundfunk unsere Gesellschaft in der digitalen Welt braucht.

Diese Debatte findet nämlich nicht in und mit der Gesellschaft statt, sondern nach wie vor in den Hinterzimmern der Staatskanzleien. Allenfalls noch in Fachkreisen in Berlin. Und wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk mal in den Medien Thema ist, wird er eher einseitig betrachtet. Denn die Öffentlich-Rechtlichen berichten nicht über sich selbst, und die Zeitungen sind ihm gegenüber eher kritisch. Wobei die Diskussion in den Staatskanzleien getrieben wurde von der Frage, wie hoch der Beitrag zukünftig sein darf. Es wurde zwar eine AG „Auftrag und Struktur“ gegründet, aber über den Auftrag wurde eben nicht diskutiert. Das halte ich für falsch.

Daher lautet meine 1. These: Wenn wir diese Diskussion öffentlich führen, werden die Menschen auch den Wert eines unabhängigen staatsfernen Rundfunks, der hohen Qualitätsstandards und Meinungs­pluralismus verpflichtet ist, erkennen und wieder schätzen lernen. Diese leidenschaftliche Debatte haben wir in der Schweiz gesehen. Und sie hat zu einer hohen Zustimmung zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk geführt. Seien wir also mutig und führen diese Debatte!

Was aber wurde stattdessen gemacht: Die Sender wurden beauftragt, ein Sparpaket zu schnüren, schließlich hatte auch die KEF Vorgaben für eine stärker kostensparende Kooperation der Sender gemacht. ARD und ZDF legten einen Sparplan, der wiederum reichte den Ländern nicht. ARD und ZDF sehen für weitere Sparmaßnahmen aber keinen Spielraum mehr.

Das Unvermögen, gemeinsam eine Lösung zu erarbeiten, war von Beginn an abzusehen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass mit der Fixiertheit auf einen Beitrag unter 20 Euro das Pferd von hinten aufgezäumt wird. Denn der Beitrag folgt dem Auftrag – und nicht umgekehrt. Erst wenn also der Auftrag von den Ländern erteilt ist und von den Sendern im Rahmen ihrer Programmautonomie konkretisiert ist, beurteilt die KEF die Angemessen­heit der für die Umsetzung beantragten Gelder. So entsteht der Rundfunkbeitrag, den wir alle monatlich zahlen.

Von der derzeit diskutierten Vollindexierung, die Herr Fischer-Heidelberger bereits erwähnte, halte ich ebenfalls nichts. Nicht nur, dass der Ansatz deutlich zu niedrig wäre, sondern damit entziehen sich die Länder der Diskussion und bürden die Verantwortung allein den Sendern auf.

Inzwischen hat sich die Diskussion derart verhakt, der Schwarze Peter wird hin und her geschoben. Das eigentlich Notwendige wird aber nicht angegangen: nämlich die Neujustierung des öffentlich-rechtlichen Auftrags.

Mit dem Titel „Auftrag ist Programm“ habt ihr also genau das richtige Thema gesetzt. Es geht um den Auftrag in einer digitalen Welt.

Und der muss umfassender betrachtet werden als das, was vor zwei Wochen unter großem Jubel als Kompromiss im Streit um die tagesschau-App von der Rundfunkkommission – gemeinsam mit den Zeitungsverlegern – zum Telemedienauftrag vorgestellt wurde. Dabei ging es vor allem um die Festlegung der Form.

Es wird nämlich am Verbot der Presseähnlichkeit festgehalten, also einem Regulierungsmerkmal aus der analogen Welt. Damit wird ein veraltetes Denkkonstrukt zementiert, das uns angesichts der heutigen konvergenten Mediennutzung keineswegs voranbringt. Wenn nun sogar positiv vorgegeben wird, wie die Angebote formal – nämlich durch Bewegtbild oder Ton – zu gestalten sind, zeugt das nicht nur von Unverständnis der digitalen Darstellungsformen, es bedeutet auch einen Eingriff in den Kernbereich des ÖR, nämlich in die Programmautonomie der Sender!

Nur am Rande sei noch erwähnt, dass dieser Kompromiss eine „Schlichtungs­stelle“ aus Vertreterinnen und Vertretern der Rundfunkanstalten sowie der Presse vorsieht. Das halte ich für völlig absurd. Es kann doch nicht sein, dass nun Chef-Lobbyist Döpfner über die Umsetzung des öffentlich-rechtlichen Auftrags mitentscheidet. Das ist verfassungsrechtlich, wenn nicht gar unionsrechtlich höchst problematisch.

Ich möchte den Versuch nicht kleinreden, dass man im jahrelangen Streit zwischen öffentlich-rechtlichen Anstalten und Presseverlagen endlich einen Kompromiss erreichen wollte. Aber hiermit ist das Grundproblem nicht gelöst. Die Zeitungsverleger sind den Beweis schuldig geblieben, dass die öffentlich-rechtlichen Telemedienangebote tatsächlich die Geschäftsmodelle der Presse gefährden. Und ein Blick in die USA zeigt, dass auch dort die Presse in der Krise steckt – ganz ohne ein öffentlich-rechtliches Angebot.

Die Frage ist also: Was muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk angesichts unserer veränderten Medienwelt heute und in Zukunft leisten?

Wir erleben eine disruptive Veränderung durch die Digitalisierung. Sie verändert alle Lebensbereiche und stellt die für uns selbstverständlich gehaltene Ordnung unserer demokratischen Öffentlichkeit in Frage.

Das Internet hat den Raum für den gesellschaftlichen Diskurs weiter geöffnet. Wir haben unbegrenzten Zugang zu den verschiedensten Informationsangeboten, können immer und überall empfangen und empfangen werden. Eigentlich ein Traum für die öffentliche Meinungsbildung.

Das führt zu meiner 2. These: Trotz des Internets sinkt die Meinungsvielfalt.

Wir haben zwar unendlich viele Angebote, aber es stellt sich die Frage: Werde ich gehört, werde ich gefunden, kann ich finden? Für den freien und demokratischen Meinungsbildungsprozess muss gerade die Auffindbarkeit der Angebote mit ihrer Vielfältigkeit, Qualität und Unabhängigkeit gesichert sein. Davon kann aber bislang nicht die Rede sein. Suchmaschinen und soziale Netzwerke wie Facebook, sogenannte Intermediäre, bestimmen, was wir sehen und was wir nicht sehen.

Zudem wird den Menschen die Aufgabe der Suche nach guten, verlässlichen Angeboten überlassen, was angesichts der unendlichen Vielzahl an Foren, und Plattformen für den Einzelnen nur noch schwer zu bewältigen ist. Es entstehen fragmentierte Öffentlichkeiten. Diese Echokammern bieten zwar vordergründig Orientierung, sie verhindern aber gerade, über den eigenen Tellerrand zu schauen und bestätigen häufig bloß die eigene Sichtweise. Diese Selbstreferenzialität wie auch die Komplexität der Aufgabe, Informationen zu sondieren, einzuordnen oder überprüfen, haben wohl ihren Anteil daran, dass gezielte Desinformation und Fake-News-Kampagnen verfangen können.

Wie also können wir den freien demokratischen Meinungsbildungsprozess zukünftig sicherstellen, wie die Gefahr von Missbrauch und gezielter Desinformation minimieren, und wie können wir Zugang und Auffindbarkeit von Qualitätsangeboten für alle Bevölkerungsgruppen gewährleisten?

Das wird die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sein. Und damit ist meine 3. These verbunden: Wir brauchen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mehr denn je.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss Öffentlichkeit herstellen, gesellschaftliche Diskurse befördern, er muss einordnen und richtig stellen, ja, er muss selbst zur Plattform werden als verlässliche Quelle für Information und Hintergrund. Eine öffentlich-rechtliche Plattform kann die fortschreitende Fragmentierung der Gesellschaft überwinden helfen. Dort können weitere, gemeinnützige Inhalte, etwa von Museen und Bibliotheken stattfinden. Wir brauchen einen gemeinsamen Debattenplatz!

Mehr Beteiligung und Transparenz führen zu Neuausrichtung von Programmen. Der Bildungsauftrag wird noch wichtiger. Und da gibt es tolle Beispiele wie in Schweden, wo Zuschauer angeleitet werden, Falschinformationen detektivisch aufzuspüren.

Das führt zur 4. These: Journalismus muss sich verändern. Einige Journalisten haben meines Erachtens noch nicht erkannt, welchen Veränderungen dieser Berufszweig unterworfen ist, dass die Deutungs- und Reichweitenhoheit, die sie in analogen Zeiten hatten, keine Gültigkeit mehr hat. Im Netz werden Fehler schneller offensichtlich. Nehmen wir das Beispiel der Charlie Hebdo-Demonstration in Paris, wo der Bildausschnitt suggerierte, die Staatschefs würden den Demonstrationszug anführen – in Wahrheit waren sie aber von den Bürgerinnen und Bürgern abgeschirmt.

Diese Vorfälle befördern den Verlust an Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Journalismus muss also sensibler werden und die Mechanismen des Netzes besser kennen.

Der ÖR muss also fit gemacht werden für die Zukunft! Meine 5. These:

Der Online-Auftrag muss weiter gefasst werdenanders kann er seinen Auftrag in Zukunft nicht erfüllen. Im Gegenzug müssen Altangebote überprüft werden, ob sie noch notwendig und funktionserforderlich sind. Denn die Angebote sollen die Menschen erreichen, und zwar dort, wo sie sind. Daher müssen Begrenzungen, wie etwa Löschpflichten oder die Eingrenzung bei textbasierten Angeboten, endlich aufgegeben werden. Wir brauchen Maßstäbe, die in die digitale Welt passen. Dazu gehört auch, dass öffentlich finanzierte Angebote auf Drittplattformen auffindbar sind.

Und wenn wir über längere Verweildauern im Netz sprechen, darf das natürlich nicht auf Kosten der Produzenten oder der Urheberinnen und Urheber gehen. Nutzungen müssen angemessen vergütet werden. Warum setzt der Gesetzgeber überhaupt noch zeitliche Fristen? Warum überlässt er es nicht den Vertragspartnern, über die Lizenzvereinbarungen zu bestimmen, was wie lange abrufbar sein soll? Das verstehe ich nicht.

Und wenn wir der Ansicht sind, dass bestimmte Produktionen länger im Netz sein sollen und die Urheber und Produzenten angemessen vergütet werden müssen, dann müssen wir den ÖR auch entsprechend finanziell ausstatten.

Denn: Der Auftrag bestimmt den Beitrag – nicht umgekehrt. Sparmaßnahmen sind wichtig, aber die Anstalten dürfen sich nicht „kaputt sparen“. Wir sehen das aktuell beim Deutschlandfunk: Sparmaßnahmen gehen zulasten des Programms. Gut ausgestattete Redaktionen, In- und Auslandskorrespondenten sind wesentliche Voraussetzungen, um ein wahrhaftiges und vielfältiges Meinungsbild garantieren zu können. Daher müssen publizistische Überlegungen im Vordergrund stehen. Was sich unter diesem Gesichtspunkt als funktionserforderlich erweist, ist zu finanzieren.

Wie soll es also weiter gehen?

Wir brauchen eine breit geführte öffentliche Debatte über den Wert von Journalismus und über die Frage, was für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk wir in Zukunft haben wollen.

Es wäre auch gut, wen jenseits von Standort- und Eigeninteressen mit einem unverblümten Blick von außen auf die Dinge geschaut werden würde. Insofern könnte eine unabhängige Expertenkommission aus Medienrechtlern und Medienwissenschaftlern den entscheidenden Anstoß geben und Vorschläge für eine wirklich zukunftsgerichtete Reform machen.

Und dabei können auch andere Probleme mit in den Blickpunkt genommen werden:

Auch private Angebote müssen im Netz finanzierbar sein. Dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Es bedarf dringend mehr und guter Hintergrundberichterstattung und eines investigativen Journalismus. Das ist übrigens auch weiterhin das große Feld für die Presse. Dazu müssen Geschäftsmodelle entwickelt werden, Bezahlangebote leicht und einfach handelbar sein. Ggf. müssen wir auch über Förderinstrumente für Journalismus nachdenken, zB durch Stiftungen. Und die bereits vorhandene Zusammenarbeit von privaten und ör Medien stärken.

Und: Wir müssen Regeln fürs Internet schaffen. Es braucht eine wirksame Kontrolle von Algorithmen – die müssen wir entwickeln. Wir müssen die Medienaufsicht dafür stärken und Sanktionen durchsetzen. Interoperabilität sollte als Standard gelten, um Monopole zu verhindern. Wir müssen auch über die Trennung von Infrastruktur und Inhalte nachdenken.

Das sind keine kleinen Baustellen – umso mehr: Packen wir es endlich an! Ich freue mich auf die Diskussion!“

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