Tabea Rößner MdB, Buendnis 90/Die Gruenen im Bundestag

Rede zur Eröffnung der Mainzer Buchmesse am 1. Juli 2016

Lieber Herr Weidle, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Bücherfreunde,

ich freue mich ganz besonders, Sie alle heute in meiner Heimatstadt, in der Stadt Gutenbergs und des Buchdrucks, zur Mainzer Buchmesse der unabhängigen Verlage willkommen zu heißen. Mein Name ist Tabea Rößner, ich bin Mitglied des Deutschen Bundestags und Sprecherin für Medienpolitik und Kreativwirtschaft meiner Fraktion, und habe in dieser Funktion natürlich mit Verlagen, Autorinnen und Autoren, mit kleinen Start-ups und großen Internet-Konzernen und natürlich auch mit Leserinnen und Lesern zu tun.

„Es geht um das Buch!“ – so lautet das Motto dieser Buchmesse. Aber was bedeutet das?

Geht es um das gedruckte Werk, den Buchband, der schön gestaltet ist, geht es um Geschichten und Gedanken, also um den Inhalt, der durch die Schrift erlebbar, empfindbar wird und Gestalt bekommt? Geht es um neue Formen von Büchern, um Dateien und Lesegeräte? Ein Buch, das nicht verschleißt und ohne Qualitätsverlust unendlich kopierbar ist. Oder geht es ganz allgemein um die Frage, wie sich der Buchmarkt entwickelt? All‘ das sind Fragen, mit denen wir – Sie aus der Branche und wir aus der Politik – uns zurzeit sehr intensiv beschäftigen.

Dem gedruckten und gebundenen Buch wurde ja immer wieder der Untergang prophezeit. Dabei scheint es doch dauerhafter zu sein, als so mancher dachte. In einem Buch zu blättern, nachzuschlagen, das alles geht zwar auch auf einem eBook-Reader, aber in einem realen, analogen Buch ist das natürlich viel schöner. Ja, viele verbinden eine große Leidenschaft mit Büchern.

Diese Leidenschaft ist mir nicht fremd, und sie ignoriert vieles – beispielsweise akute Platzprobleme, den Staub, der sich über Monate auf den Büchern ablegt, oder etwa die Standfestigkeit von Regalen. Bei mir Zuhause ist das gerade noch so handlebar.

Auch Umberto Eco war ein Büchersammler. Vor anderthalb Jahren durfte ich bei der Verleihung des Gutenberg-Preises an ihn dabei sein, was sehr bewegend war. In seiner Dankesrede – den „Digressionen eines Bibliophilen“ – spricht Eco von einem, der über Jahre fünftausend Bände und mehr gesammelt hat.

Zitat: „Ihm droht stets die Gefahr des Schwachkopfs, der in seine Wohnung kommt, die vielen Regale sieht und ausruft: ‚So viele Bücher! Haben Sie die alle gelesen?‘ Die Alltagserfahrung sagt uns, dass diese Frage auch von Personen mit mehr als befriedigendem Intelligenzquotienten gestellt wird. Auf diese Zudringlichkeit gibt es meines Wissens drei Standardantworten. Die erste blockiert den Besucher und bricht jede weitere Beziehung ab, nämlich: ‚Gar keins hab‘ ich davon gelesen, wozu würde ich sie sonst hierbehalten?‘ Allerdings entschädigt sie den Zudringlichen dadurch, dass sie sein Überlegenheitsgefühl hervorkitzelt, und ich sehe nicht ein, wieso man ihm diesen Gefallen tun soll. Die zweite Antwort stürzt den Impertinenten in einen Zustand tiefster Unterlegenheit, denn sie lautet: ‚Nicht bloß die, mein Herr, nicht bloß die!‘ Die dritte ist eine Variation der zweiten, und ich benutze sie dann, wenn ich will, dass der Besucher in eine Schreckenstarre verfällt: ‚Nein‘ sage ich, ‚das sind die, die ich bis Ende nächster Woche lesen muss, die anderen habe ich in der Uni.‘

Diese kleine Anekdote zeugt nicht nur von Ecos Humor, sondern zeigt auch sein Erstaunen über Menschen, die diese Leidenschaft für Bücher nicht teilen.

Aber egal, ob für die Ausübung des Berufs oder zum privaten Vergnügen, ob gedruckt oder digital: Bücher tragen zur kulturellen Vielfalt bei, zur Reflexion der Gesellschaft, zum gesellschaftlichen und kulturellen Dialog, sie schaffen Räume dafür, und dies ist nicht zuletzt ein großer Verdienst gerade der kleinen und unabhängigen Verlegerinnen und Verleger, und daher möchte ich Ihnen dafür an dieser Stelle ganz besonders danken.

Die vielen kleinen, unabhängigen Verlage sind entscheidender kreativer Motor der Buchbranche. Gerade Sie sind es, die außergewöhnliche Projekte wagen und damit vielfach neue Trends setzen. Sie entdecken Autorinnen und Autoren, die vielleicht woanders keine Chance bekommen würden.

Sie bereiten Themen neu auf – engagiert, enthusiastisch und mit einer gehörigen Portion Risikobereitschaft. Als unabhängige Verleger haben Sie am Ende vielleicht nicht immer das große Geld in der Tasche, dafür aber die Freiheit, genau diejenige Literatur zu machen, die Sie uns allen wünschen. Und ich wünsche mir, meine Damen und Herren, dass das auch so bleibt!

Seit ich im Bundestag bin, kümmere ich mich – zumindest auf politischer Ebene, vorher habe ich ja selbst als Journalistin gearbeitet – auch um die Sorgen und Nöte vieler Kreativer, und dazu gehört in diesen Zeiten auch ganz besonders die Buchbranche. Autorinnen und Autoren fordern zu Recht seit Jahren bessere Vergütungen. Hier gibt es einiges zu tun, ein starkes Urhebervertragsrecht muss eine angemessene Vergütung sicherstellen. Die Novelle wird gerade beraten, da sind wir also dran.

Aber auch Verlage haben zu kämpfen, und dabei vor allem die kleinen. Die fortschreitende Digitalisierung bringt das Gefüge durcheinander. Das ist einerseits gut: Denn gerade auch den Kleinen und Neulingen in der Verlagsbranche bringen die digitalen Entwicklungen mehr Möglichkeiten, den Kontakt zu Autoren und Kunden zu finden und Bücher direkt an die Menschen zu bringen. Aber die Online-Welt ist riesig: Man muss gefunden und das Buch zum Leser gebracht werden – und dafür muss auch im Digitalen einiges gestemmt werden.

Die Probleme sind daher vielleicht nicht mehr die gleichen – aber im Grunde doch sehr ähnliche. Es steht fest: Für eine vielfältige Kultur, eine facettenreiche Buchlandschaft braucht es weiterhin fördernde Strukturen. Dazu gehört unbestritten die Buchpreisbindung – die ja nun auch für E-Books gilt. Das war ein richtiger und wichtiger Schritt, denn nur so kann Preisdumping verhindert werden – was im globalen digitalen Markt eine sehr reale Gefahr ist, gerade für die kleinen hochwertigen Buchhandlungen in den Dörfern, Städten und Kiezen, die den Menschen ein vielfältiges Buchangebot vorhalten.

Den Buchmarkt treiben viele weitere Themen um: Bei eBooks stehen Fragen auf der Agenda, wie etwa: Sollte ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz auch für elektronische Bücher gelten? Welche Vor- und Nachteile hätte ein Second-Hand-Verkauf gelesener bzw. „gebrauchter“ eBooks? Wie kann die eBook-Ausleihe in Bibliotheken gerecht ermöglicht werden?

Ich gebe zu: Dies alles ist nicht leicht zu beantworten. Wir alle wollen den Mehrwert, den die Technologien uns dabei in der Regel bringen. Und wir wollen dem Fortschritt keine unnötigen Steine in den Weg legen. Dennoch sind die Folgen auf die Märkte – zumal die traditionellen, wie den Buchmarkt – oft komplex und nicht nur zu bejubeln.

Hochaktuell und auch für Sie am morgigen Tag eine Diskussionsrunde wert: Das Urteil des BGH zur Verlegerbeteiligung. Die Branche ist unruhig und uneins, wie sie damit umgehen soll. Bei einigen herrscht Aufbruchsstimmung, bei anderen Untergangsszenarien.

Fest steht: Autorinnen und Autoren haben Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Mit dem Urteil stehen aber ganz grundsätzliche Fragen im Raum: Wollen die Autorinnen und Autoren wirklich, dass Verlage in Zukunft keinerlei Ausschüttungen aus der Privatkopievergütung mehr erhalten?

Wie soll die Arbeit in der Verwertungsgesellschaft nun strukturiert werden – sollen die Verlage raus? Hilft all‘ das den Autorinnen und Autoren, endlich mehr Rechte und mehr Geld in ihrem Geldbeutel zu haben oder werden sie ohne die Verlage an ihrer Seite eine Schwächung in den Verhandlungen mit der mächtigen Geräteindustrie erfahren – und am Ende gar nichts gewinnen?

Gerade für kleinere Verlage sind auch dies essentielle Fragestellungen. Und eines will sicherlich keiner: Die Schrauben so eng drehen, dass es kleine Verlage noch schwerer haben, ihre Projekte umzusetzen, oder gar vor dem Aus stehen.

Wir sind aktuell dabei, mit Nachdruck auf nationaler und europäischer Ebene eine einvernehmliche Lösung aller Beteiligten zu diskutieren. Ich hoffe, dass dies im Sinne aller gelingen kann.

Über all‘ diese Themen kann nun heute Abend diskutiert werden. Es ist vor allem aber auch Zeit und Gelegenheit, sich im Rahmen eines netten Programms von Musik und Trank zu vernetzen und auszutauschen, vielleicht Ideen für neue Projekte ins Leben zu rufen oder der eingangs beschriebenen Leidenschaft für Bücher nachzugehen.

Und so komme ich zum Abschluss noch einmal auf die Rede Umberto Ecos über den Wert von Büchern:

„Was der Unselige nicht weiß, ist, dass die Bibliothek nicht nur ein Ort der Erinnerung ist, wo wir aufbewahren, was wir gelesen haben, sondern der Ort des universalen Gedächtnisses, wo wir eines Tages, im schicksalhaften Moment, auch das finden können, was andere vor uns gelesen haben.“

Ich wünsche Ihnen allen spannende Diskussionen und interessante Gesprächspartner!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

 

 

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