Persönliche Erklärung nach § 31 GOBT zur Abstimmung über das Mandat zur Entsendung deutscher Streitkräfte zur Verstärkung der integrierten Luftverteidigung der NATO auf Ersuchen der Türkei – Berlin, 14. Dezember 2012

Seit Beginn der Protestbewegungen gegen das Regime von Bashar al-Assad in Syrien hat sich aus einer friedlichen Bewegung für Freiheit und Selbst¬bestimmung ein blutiger Bürgerkrieg entwickelt. Der Konflikt ist unübersichtlich geworden, er hat eine regionale, ethnische, konfessionelle und dschihadistische Dimension gewonnen. Die internationale Gemeinschaft hat sich bislang nicht zu einem gemeinsamen, entschlossenen Handeln für eine friedliche Beilegung des Konflikts entschließen können.

In Ermangelung eines solchen Plans wäre es für Deutschland und seine Verbündeten töricht und höchst gefährlich, sich militärisch in diese Aus-einandersetzungen verwickeln zu lassen. Deswegen müssen alle Schritte vermieden werden, die einer solchen Eskalation Vorschub leisten können.

Wir haben die Anfrage der Türkei zur Stationierung deutscher Raketenabwehrsysteme vom Typ Patriot daher von Anfang an sehr kritisch begleitet. Obwohl für uns die Bündnissolidarität der NATO, die Deutsch-lands Sicherheit über viele Jahrzehnte garantiert hat, ein sehr hoher Wert ist, hatten wir wesentliche Bedenken ob dieses Einsatzes. Das waren im wesentlichen folgende Punkte:

1.)    Die Bedrohung, der die Türkei bislang ausgesetzt war, bestand vor allem im Beschuss mit Mörsergranaten auf Dörfer unmittelbar an der Grenze. Gegen diesen Beschuss sind Patriot-Systeme wirkungslos.

2.)    Die Stationierung der Raketenabwehrsysteme in unmittelbarer Nähe zur Grenze hätte sie zu einem Instrument einer völkerrechtswidrigen Flugverbotszone machen können, wie sie türkische Regierungsvertreter in den Tagen vor der Voranfrage öffentlich ins Gespräch gebracht hatten. Aber auch eine sonstige völkerrechtswidrige Verletzung des Territoriums Syriens hätte gedroht.

3.)    Diese Nähe zur Grenze hätte deutsche Soldaten zudem zu idealen Zielen für all diejenigen Kräfte innerhalb Syriens gemacht, die sich einen Vorteil davon versprechen, die NATO in den Konflikt hinein¬zuziehen. Dazu zählen nicht zuletzt auch Teile der bewaffneten syrischen Opposition.

Auch aufgrund des massiven Drucks der Grünen wurde die Anfrage nun so ausgearbeitet, dass unsere Bedenken ausgeräumt sind. Die deutschen Patriot-Systeme werden nun rund 100km entfernt von der Grenze in einem Ballungszentrum mit etwa 500.000 Einwohnern aufgestellt, sollten sie von dort weg bewegt werden, wird nach der Zusicherung der Bundesregierung der Bundestag befasst. Damit ist die Gefahr einer Rutschbahn für die Bundeswehr in den Syrien-Konflikt durch die Patriot-Stationierung praktisch gebannt. Sie stehen unter dem Kommando der NATO. Das Bundes¬tagsmandat schließt das Heranziehen der Systeme zur Einrichtung einer Flugverbotszone aus. Auch hat die Bundesregierung auf eine Stationierung der Patriots in den zurzeit angespannten kurdischen Ge¬bieten der Türkei verzichtet.

Wir wurden zudem in den letzten Tagen Zeugen bedenklicher Entwicklungen in Syrien. In den Zerfallsprozessen des syrischen Regimes schwinden die klaren Kommandostrukturen der Armee. Es ist nun denkbar, dass einzelne Kräfte die – im Sinne des Regimes eigentlich irrationale – Entscheidung treffen könnten, die Türkei mit ballistischen Raketen zu beschießen. Die Patriot-Systeme können zur Abwehr dieser Bedrohung dienen, Menschenleben retten und damit ggf. das Eskalationspotenzial eines solchen Angriffs mindern.
Die letzten Äußerungen der russischen Regierung deuten darauf hin, dass auch Moskau sich der Dynamik dieses Zerfallsprozesses und seiner Gefahren zunehmend bewusst ist. Die russische Regierung scheint die Stationierung der Patriot-Systeme nicht mehr als provokative Geste zu verstehen, die einer friedlichen, multilateralen Lösungsperspektive für den syrischen Konflikt entgegensteht.

Deshalb werden wir dem Mandat zustimmen. Diese Zustimmung ist verbunden mit einer hohen Wachsamkeit über den genauen Einsatz der Systeme. Unsere Fraktion wird die Bundesregierung darauf drängen, ihren Informationspflichten genauestens nachzukommen.

Diese Zustimmung ist darüber hinaus mit der dringenden Aufforderung an die Regierung verbunden, sich auch und vor allem auf ziviler Ebene solidarisch zu zeigen mit der gewaltfreien syrischen Opposition und den Nachbarstaaten, die hunderttausende Flüchtlinge aufgenommen haben. Das bisherige Handeln der Bundesregierung hier ist beschämend. Es liefert einerseits denjenigen Kräften in der Türkei Vorschub, die die Partnerschaft ihres Landes in der NATO und den Annäherungsprozess an die EU kritisieren, und beschädigt andererseits massiv die Glaubwürdigkeit Deutsch¬ands als Partner der syrischen Zivilgesellschaft beim Aufbau einer neuen, demokratischen Staatsordnung nach dem Ende des bewaffneten Konflikts.

Berlin, den 14. Dezember 2012

Kerstin Andreae
Cornelia Behm
Viola von Cramon
Harald Ebner
Ekin Deligoez
Katja Dörner
Hans-Josef Fell
Kathrin Göring-Eckhardt
Ingrid Hönlinger
Tom Koenigs
Stephan Kühn
Dr. Tobias Lindner
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Tabea Rößner
Claudia Roth
Elisabeth Scharfenberg
Manuel Sarrazin
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Josef Winkler

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